Anticharm zerfällt anders
Hinweise auf große CP-Verletzung beim Zerfall von Mesonen.
Antimaterie ist in unserem Universum rar. Galaxien, Sterne und Planeten bestehen aus Materie, während die mit ihr beim Urknall entstandene Antimaterie fast restlos verschwunden ist. Für dieses unterschiedliche Verhalten könnte die Verletzung der sogenannten CP-Symmetrie verantwortlich sein. Doch die bisher beobachtete Stärke der Symmetrieverletzung reicht nicht aus, um die kosmische Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie zu erklären. Neue Experimente mit dem Large Hadron Collider deuten jetzt auf eine stärkere CP-Verletzung hin.
Abb.: Unterm Strich ist die CP-Symmetrie deutlich verletzt. ΔA misst den Unterschied zwischen den Zerfällen der D-Mesonen und ihrer Antiteilchen. (Bild: R. Aaij et al., Phys. Rev. Lett.)
Dass auch die Natur einen Unterschied zwischen Bild und Spiegelbild macht, hatte die Physikerin Chien-Shiung Wu 1956 nach Diskussionen mit den späteren Nobelpreisträgern Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang am Betazerfall von Kobaltkernen nachgewiesen. Die für den Zerfall verantwortliche schwache Wechselwirkung verletzt die Parität P oder Spiegelsymmetrie.
Doch auch die CP-Symmetrie, bei der zudem noch jedes Elementarteilchen durch sein Antiteilchen ersetzt wird, wird durch die schwache Wechselwirkung verletzt. Das hatten Forscher um James Cronin und Val Fitch 1964 am Zerfall langlebiger neutraler K-Mesonen beobachtet. Erst die CPT-Symmetrie, die zusätzlich eine Zeitumkehr enthält, wird von der Natur respektiert.
Allerdings ist die beobachtete CP-Verletzung, die in Einklang mit dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik steht, winzig klein. Mit dem aus ihr folgenden Unterschied zwischen Materie und Antimaterie ließe sich für das Universum allenfalls ein Materieüberschuss erklären, der einer Galaxie entspricht, während es tatsächlich etwa eine Billiarde Galaxien gibt, aber keine uns bekannten Anti-Galaxien. Auch andere Experimente, bei denen der Zerfall von B-Mesonen untersucht wurde, hatten keine CP-Verletzung von ausreichender Stärke ergeben.
Mit dem large Hadron Collider scheint man jetzt einer stärkere Verletzung der CP-Symmetrie beim Zerfall von neutralen D-Meson beobachtet zu haben, die aus einem Charm-Quark und einem Up-Antiquark bestehen. Die LHCb-Kollaboration hat untersucht, wie neutrale D-Mesonen und ihre Antiteilchen in Paare von Kaonen oder Pionen zerfallen. Die große Zahl der beobachteten Zerfälle ermöglichte es den Forschern, die Unterschiede im Verhalten der Mesonen und der Antimesonen sehr genau zu messen.
Es stellte sich heraus, dass die D-Mesonen etwas häufiger in Pion-Antipion-Paare zerfallen als die D-Antimesonen, während diese wiederum etwas häufiger in Kaon-Antikaon-Paare zerfallen als die D-Mesonen. Teilchen und Antiteilchen unterscheiden sich demnach in ihrem Verhalten, wobei die CP-Symmetrie verletzt wird. Die statistische Signifikanz dieses Resultats liegt allerdings bisher nur bei 3,5 σ, während man von einer Entdeckung erst bei 5 σ sprechen kann.
Die nun beobachtete Verletzung der CP-Symmetrie ist etwa zehnmal so groß, als man es mit Hilfe der schwachen Wechselwirkung erklären kann. Bisher kann man jedoch nicht ausschließen, dass bei dieser Symmetrieverletzung auch die starke Wechselwirkung eine Rolle spielt. Doch möglicherweise lässt sich die relativ große Symmetrieverletzung nicht mehr im Rahmen des Standardmodells erklären, sondern nur mit Hilfe von supersymmetrischen Theorien. Weitere Experimente, die die Statistik verbessern, sollen hier die Klärung bringen.
Rainer Scharf