Atominterferometrie im All
An Bord einer Forschungsrakete erstmals Atominterferometer im Weltraum realisiert.
Atominterferometer erlauben hochpräzise Messungen, indem sie den Wellencharakter von Atomen nutzen. Sie werden zum Beispiel für die Vermessung des Schwerefelds der Erde eingesetzt oder um Gravitationswellen aufzuspüren. Einem Team von Wissenschaftlern aus Deutschland ist es gelungen, an Bord einer Forschungsrakete erstmals ein Atominterferometer im Weltraum zu demonstrieren. „Somit haben wir die technologischen Voraussetzungen geschaffen, um Atominterferometrie auf einer Forschungsrakete zu realisieren und zu zeigen, dass derartige Experimente nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltraum möglich sind“, sagt Patrick Windpassinger vom Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), dessen Gruppe an dem Experiment beteiligt war.
Ein von der Leibniz Universität Hannover geleitetes Team von Forschern verschiedener Universitäten und Forschungszentren hatte im Januar 2017 die Maius-1-Mission gestartet und bei dieser Raketenmission erstmals ein Bose-Einstein-Kondensat im Weltraum erzeugt. Dieser spezielle Materiezustand entsteht bei der Kühlung – in diesem Fall von Rubidium-Atomen – auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius. „Dieses kalte Ensemble ist für uns ein sehr günstiger Ausgangspunkt für die Atominterferometrie“, erklärt Patrick Windpassinger. Die Temperatur ist einer der limitierenden Faktoren: Bei kalten Temperaturen können Messungen länger und genauer durchgeführt werden. Bei den Experimenten wurde das atomare Gas aus Rubidium-Atomen durch die Einstrahlung von Laserlicht aufgespalten und zu einem späteren Zeitpunkt wieder überlagert. Je nachdem, welche Kräfte auf die Atome auf den verschiedenen Pfaden einwirken, ergeben sich verschiedene Interferenzmuster, die dann im Umkehrschluss genutzt werden können, um die wirkenden Kräfte, wie die Gravitation, zu vermessen.
In der Forschungsarbeit wurde zunächst die Kohärenz, also die Interferenzfähigkeit des Bose-Einstein-Kondensats, als grundlegend notwendige Eigenschaft des atomaren Ensembles nachgewiesen. Dazu wurden die Atome im Interferometer durch Variation der Lichtsequenz nur partiell überlagert, was im Falle der Kohärenz zur Ausbildung einer räumlichen Dichtemodulation führte. Damit hat das Forschungsteam die grundlegenden Schritte für die Durchführung von Experimenten zur Vermessung des Schwerefeldes der Erde, zur Gravitationswellendetektion oder für einen Test des Einsteinschen Äquivalenzprinzips demonstriert.
Besonders die Möglichkeit der Nutzung der Atominterferometrie, um das Einsteinsche Äquivalenzprinzip einem hochpräzisen Test zu unterziehen, möchte das Team gerne bei den beiden kommenden Folgemissionen Maius-2 und Maius-3 weiter vorantreiben. Für 2022 und 2023 sind zwei weitere Raketenstarts geplant, bei denen neben Rubidium-Atomen auch Kalium-Atome zur Interferenz gebracht werden sollen. Durch den Vergleich der Fallbeschleunigung der beiden Atomsorten soll, so die Erwartungen, eine Messung des Äquivalenzprinzips mit bisher unerreichter Präzision ermöglicht werden. „Ein solcher Test wäre dann eine Zielstellung für zukünftige Experimente auf Satelliten oder der ISS, wie zum Beispiel dem in der Planungsphase befindlichen Beccal-Experiment. Dort sind die erreichbaren Genauigkeiten nicht durch die limitierte Freifallzeit auf der Rakete begrenzt“, erklärt André Wenzlawski aus der Arbeitsgruppe von Windpassinger, der an den Raketenmissionen direkt beteiligt ist.
Damit reiht sich dieses Experiment in das hochaktuelle Feld der Quantentechnologien ein, in dessen Zusammenhang auch Entwicklungen auf den Gebieten der Quantenkommunikation, der Quantensensorik und des Quantencomputings zu nennen sind. Die Höhenforschungsraketenmission Maius-1 wurde in einem Verbundprojekt zwischen der Leibniz Universität Hannover, der Universität Bremen, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik Berlin und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführt.
U. Mainz / DE