17.11.2005

Atomkraft, ja bitte?

Wie denken unsere Leser/innen über die weitere Nutzung der Kernenergie? Eine Umfrage per Newsletter lieferte kontroverse Meinungen.


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Wie denken unsere Leser/innen über die weitere Nutzung der Kernenergie? Eine Umfrage per Newsletter lieferte kontroverse Meinungen.

Klimaschutz geht uns alle an. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) veröffentlichte in der letzten Woche eine Studie zu Klimaschutz und Energieversorgung. Die DPG plädiert darin für eine längere Laufzeit der Kernenergienutzung, wenn man die Klimaschutzziele ernst nimmt. In der Presse wird dies verallgemeinert so dargestellt, dass „Physiker“ für eine weitere Kernkraftnutzung plädieren (z. B. Berliner Zeitung). Daraufhin hat pro-physik.de seine Leser/innen gefragt: „Wie denken Sie als Physiker/in über dieses kontroverse Thema?“ Eine Auswahl der Meinungen haben wir hier zusammengestellt (evtl. Kürzungen sind gekennzeichnet):

  • „Ich wohne in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Kernkraftwerk. Dort wird zurzeit ein Zwischenlager errichtet. Eine relativ simple Halle, in denen die Brennstäbe in ‚sicheren’ Behältern gelagert werden. Wahrscheinlich wird aus diesem (und auch aus anderen) Zwischenlager(n) ein Endlager werden. \[...\] Eine Verständigung auf ein \[echtes\] Endlager \[scheint\] nicht möglich zu sein. \[...\] Solange man nicht weiß wohin mit dem Abfall, sollte man sich nach alternativen Energien umschauen. Hätte man das übrigens schon vor 30 Jahren gemacht, wären wir heute bestimmt schon sehr viel weiter.“
    Eric Michenfelder, Informatiker
  • „Eine Studie zu erstellen zu Fragen der Energieversorgung und zum Klimaschutz ist zu allererst gut. Gerade wenn die Studie sich bemüht, sich objektiv den Fragen zu nähern. Aber wie kann eine Studie von der DPG vorgestellt werden ohne dass die DPG sie gelesen und sich dahinter gestellt hat? \[...\] In welchem demokratischen Gremium der DPG ist dieser Aussage zugestimmt worden, sodass sie tatsächlich von der DPG kommen darf? \[...\] Unangenehm fällt mir \[in der Meldung\] eine Formulierung \[von Herrn Blum\] auf, dass es „aus physikalischer Sicht \[...\] keinen Grund \[gibt\], an dem Fahrplan des beschlossenen Ausstiegs festzuhalten.“ Ich frage mich, worin die ‚physikalische Sichtweise’ bei der Beurteilung dieser Frage besteht? \[...\] Gibt es aus ‚physikalischer Sicht’ eigentlich einen Grund nicht auszusteigen? Vielleicht ein Naturgesetz, das Herrn Blum bekannt ist, mir aber entgangen sein könnte? \[...\] Insgesamt bin ich tatsächlich erschrocken, dass die DPG eine Meinung vertritt, die nicht mit ihren Mitgliederinnen abgestimmt ist.“
    Hartmut Borawski, Dipl. Phys.
  • „Aufgrund des Klimaschutzes bin ich für eine längere Laufzeit der Kernenergienutzung und unterstütze daher die Haltung der DPG aus voller Überzeugung.“
    Dr. Wieland Habenicht, Dipl. Phys. und Patentanwalt
  • „Eine längere Nutzung der Kernkraftwerke scheint mir sinnvoll. Man kann sich natürlich auch zum frühzeitigen Abschalten der Atomkraftwerke bekennen und dann den Atomstrom aus Frankreich kaufen. Das läuft dann auf das gleiche hinaus. Ich bin der Meinung, dass Deutschland sich bestimmten Energiequellen nicht verschließen sollte. \[...\] Eine kontrollierte Nutzung der Kernenergie stellt sicher eine Alternative oder zumindest Ergänzung zum Strom aus fossilen Brennstoffen dar.“
    Ingo Faderl
  • „Die Sicherheit von Kernkraftanlagen (einschl. Aufbereitungsanlagen) in Europa und in den USA halte ich für gegeben. Im klimatechnischen Sinne ist die Kernenergie sauber. \[...\] Die Sicherheit von Kernkraftanlagen ist \[jedoch\] kein regionales, sondern ein internationales Problem. Die Sicherheit der Entsorgung zu bewerten, ist aufgrund der lang anhaltenden Gefährdungspotentiale prinzipiell subjektiv. Für die nächsten 100 Jahre \[...\] mögen Salzstöcke sicher sein, aber wer kann eine ‚Sicherheit’ für 1000 Jahre und mehr garantieren? Die ganze Frage der Haftung oder Haftbarkeit ist angesichts dieser Zeiträume absurd. \[...\] Die Kernenergie löst bestenfalls kurzfristig unsere Energieprobleme, beschert uns dafür aber lang anhaltende Probleme \[...\]. Die Nutzung der Kernenergie sollte m. E., wie geplant, auslaufen. \[...\]. Für den globalen Klimaschutz sieht es aus vielerlei Gründen nicht hoffnungsvoll aus. Wir, in Deutschland, müssen weiter beispielhaft vorangehen und regenerative Energiequellen einsetzen \[...\]. Wir könnten z. B. prüfen, inwieweit Klimaschutz und Entwicklungshilfe vereinbar sind, indem wir in armen Ländern (in denen oft Sonnenenergie zuverlässig zu Verfügung steht) Solaranlagen installieren, die es ihnen erlauben, Solarstrom zu exportieren. Das hilft beiden Seiten - und dem Klima. Wir müssen vermehrt neue Energieträger erforschen, z. B. Wasserstoff (als Sekundärenergieträger) und mutig deren Einsatz vorantreiben. Dezentrale Energieversorgungseinheiten auf der Basis regenerativer Energiequellen (Wind, Wasser, Erdwärme) können helfen, den externen Energiebedarf zu reduzieren. Die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung und der Schutz des Klimas sind die zentralen technischen Herausforderungen unserer und vermutlich auch der nächsten Zeit.“
    Frank Fidorra
  • „Voll einverstanden mit \[der\] \[...\] Pressemitteilung, insbesondere über die Rolle der Kernenergie und deren positive Rolle hinsichtlich Klimaschutz. Wir werden in der Zukunft jede Wattsekunde an Energie brauchen, warum nehmen wir dazu nicht auch den Stoff, mit dem wir sonst nichts anderes anfangen können, das Uran.
    Robert Holzer
  • „Für Deutschland allein betrachtet stimme ich dem Artikel schon zu. Aber was bringt es hier selbst die 40% einzusparen, wenn in derselben Zeit China seinen Ausstoß verzehn- oder verhundertfacht? Würde man in China den Bau neuer Kernanlagen empfehlen um den Anstieg des Treibhausgasausstoßes zu drosseln? Wohl nicht, denn damit verschiebt man nur die Umweltproblematik auf die Probleme der Lagerung strahlenbelasteteten Materials. \[...\] Die Vorbildfunktion \[Deutschlands\] ist sicherlich wichtig, aber reicht nicht aus einen globalen Anstieg der Emissionen nennenswert zu bremsen. Meines Erachtens bräuchte es eine aggressive globale Initiative mit dem Ziel emissionsfreie Energieversorgungsmodelle zu entwickeln.“
    Dr. Christian Müller
  • „Der Ausstieg dauert schon in der derzeitigen Fassung viel zu lange in Anbetracht der potenziellen Gefahren durch laufenden KKWs und die ungelöste und unübersehbar teure Endlagerproblematik. Warum geht man bei Studien (fast) immer davon aus, dass der bisherige Energiebedarf in Quantität und Zusammensetzung auch in Zukunft so bleibt? Zwangsläufig kommen die Studien so immer nur zu einem ‚Ersatz’-Szenario, anstatt über Einsparpotenziale und Umverteilung des Primärenergieeinsatzes nachzudenken. \[...\] Die weitere Nutzung der sehr kapitalintensiven Kernenergie bindet erhebliche Mittel, auch Forschungsmittel(!), die anderweitig für innovative Energieforschung und -entwicklung fehlen. Fazit: Warum Geld in eine Technik verschwenden, die von allen Seiten als Auslauftechnik betrachtet wird, nur um einen fragwürdigen, kurzfristigen finanziellen Nutzen für die Betreiber zu erzielen. Von der Führungsriege der DPG erhoffe ich mir eigentlich kreativere und zukunftsweisendere Beiträge!“
    Christian Mose, Dipl.-Phys.
  • „Die weitere Kernkraftnutzung erscheint mir kein vernünftiger Weg, um den Klimaschutz voranzutreiben. Es ist unverantwortlich, die Problematik des radioaktiven Abfalls völlig außer Acht zu lassen. Meiner Meinung nach sollte der beschlossene Ausstieg durchgeführt werden und es müssen vermehrt alternative Energien eingesetzt werden. Durch den Ausstieg aus der Kernkraftnutzung wird die Forschung nach alternativen Energiequellen einen Schub bekommen, ebenso wie Techniken der Abgasreinigung von bestehenden Kraftwerken.“
    Armin Schweiger
  • „Ich halte eine Befürwortung der Kernenergie wegen der ungelösten Entsorgungsfrage, der Gefahren bei Transporten, den Gefahren des Missbrauchs radioaktiver Stoffe usw. für nicht verantwortbar. Es gibt noch ein großes Potenzial bei der Energieeinsparung, bei der Wärme-Kraft-Kopplung, regenerative Energieerzeugung etc.“
    Prof. Dr. Heinz Kalt, Karlsruhe

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