Atommüll mit Neutrinos überwachen
Mehrere Szenarien zeigen Nutzung von Neutrinodetektoren in atomaren Zwischenlagern auf.
Um radioaktives Material in Atommülllagern besser zu überwachen und sicherer aufzubewahren, könnten nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Neutrinodetektoren einen wichtigen Beitrag leisten. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz JGU haben die von abgebrannten Kernbrennstoffen ausgehende Neutrinostrahlung ermittelt. Anhand dieser Berechnungen können sie zeigen, dass der Einsatz von Neutrinodetektoren in bestimmten Szenarien hilfreich wäre.
Abb.: Prototyp eines zur Überwachung von Atommülllagern geeigneten Antineutrino-Detektors. (Bild: Virginia Tech, Center for Neutrino Physics)
Neutrinos wechselwirken kaum mit Materie und können daher die Erde sowie jede von Menschen gemachte Abschirmung praktisch ungehindert durchdringen. „Von der Sonne kommen in jeder Sekunde etwa einhundert Milliarden Neutrinos pro Quadratzentimeter auf der Erde an und zwar am Tag wie in der Nacht. Weil aber Neutrinos nur über die schwache Wechselwirkung mit Materie in Kontakt treten, sind sie die am schwersten zu detektierenden Elementarteilchen überhaupt“, erklärt Joachim Kopp vom Exzellenzcluster PRISMA der JGU. Beim Betazerfall von radioaktiven Spaltprodukten entstehen Neutrinos in sehr großen Mengen. Für ihre Detektion über den inversen Betazerfall müssen diese Teilchen jedoch eine Mindestenergie von 1,8 Megaelektronenvolt aufweisen. Dann können sie in einem Szintillationsdetektor, einem mit speziellen Mineralölen gefüllten Tank, nachgewiesen werden. Die hochenergetischen Teilchen wechselwirken in dem Tank mit den vorhandenen Protonen, wobei ein charakteristisches Lichtsignal entsteht.
Derartige Neutrinodetektoren werden versuchsweise bereits zur Überwachung des laufenden Betriebs von Kernkraftwerken eingesetzt. Für die Überwachung von gelagertem Atommüll gibt es bisher noch keine Detektoren. „Laufende Reaktoren produzieren wesentlich mehr Neutrinos als stillgelegte Reaktoren oder gelagertes radioaktives Material“, erklärt Kopp mit dem Hinweis, dass es jedoch gerade aus Sicherheitsgründen wichtig wäre, den Verbleib von Atommüll im Auge zu behalten. Gemeinsam mit Vedran Brdar und sowie Patrick Huber von der US-Universität Virginia Tech berechnete er zunächst den Neutrinofluss, den radioaktives Strontium-90 und andere in abgebranntem Kernbrennstoff vorkommende Spaltprodukte emittieren. Sie betrachtteen dann einige Szenarien, wie oder wo die Emissionen nachgewiesen werden könnten.
Besonders hilfreich wäre ein entsprechender Detektor demnach für die Überwachung oberirdischer Lagerstätten, zum Beispiel auf dem Gelände von Kernkraftwerken. Hier könnte ein Neutrinodetektor erkennen, falls radioaktives Material undokumentiert weggeschafft würde. Den Berechnungen zufolge würden die Messungen bei einem Detektor mit einem Volumen von vierzig Tonnen etwa ein Jahr lang laufen müssen. „Das klingt zwar lange, aber es genügt, den Detektor hinzustellen und abzuwarten. Der große Vorteil ist, dass wir so den Inhalt der Container überprüfen können, ohne die Behälter überhaupt öffnen zu müssen“, erklärt Kopp das Verfahren. Es würde in der Regel ausreichen, wenn der Detektor zehn bis einhundert Meter entfernt aufgestellt wird, beispielsweise auf dem Anhänger eines Lastwagens. Die Methode ist nach Einschätzung von Kopp insbesondere im Hinblick auf die Nichtverbreitung atomwaffenfähigen Materials interessant, weshalb die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM bereits Interesse bekundet hat.
In einem zweiten Szenario berechnen die Physiker die Situation bei der Überwachung von unterirdischen Endlagern am Beispiel der vorgeschlagenen Endlagerstätte Yucca Mountain in Nevada. Hier würde ein signifikanter Neutrinofluss selbst an der Oberfläche von einem kleinen Zehn-Tonnen-Tank entdeckt. „Allerdings können realistische Gefahren wie das Austreten nur geringer Mengen radioaktiven Materials leider nicht erkannt werden“, so Kopp. Ein drittes Szenario, das sich die Wissenschaftler in ihren Berechnungen vornahmen, war das Aufspüren von unvollständig dokumentierten Lagerstätten, wie sie etwa auf dem Hanford-Gelände, einer noch aus Zeiten des Kalten Krieges stammenden und mittlerweile stillgelegten Nuklearanlage im US-Bundesstaat Washington, existieren. „Dazu reicht die aktuelle Detektortechnologie noch nicht ganz aus, unter anderem weil die kosmische Strahlung die Messungen beeinträchtigt“, erklärt Kopp. Allerdings gibt es bereits erste Prototypen für Detektoren, die dieses Problem vermeiden können.
JGU Mainz / JOL