07.12.2017

Atommüll mit Neutrinos überwachen

Mehrere Szenarien zeigen Nutzung von Neutrinodetektoren in atomaren Zwischenlagern auf.

Um radio­aktives Material in Atommüll­lagern besser zu überwachen und sicherer aufzu­bewahren, könnten nach neuen wissen­schaftlichen Erkennt­nissen Neutrino­detektoren einen wichtigen Beitrag leisten. Wissen­schaftler der Johannes Gutenberg-Univer­sität Mainz JGU haben die von abge­brannten Kernbrenn­stoffen ausgehende Neutrino­strahlung ermittelt. Anhand dieser Berechnungen können sie zeigen, dass der Einsatz von Neutrino­detektoren in bestimmten Szenarien hilfreich wäre.

Abb.: Prototyp eines zur Überwachung von Atommülllagern geeigneten Antineutrino-Detektors. (Bild: Virginia Tech, Center for Neutrino Physics)

Neutrinos wechsel­wirken kaum mit Materie und können daher die Erde sowie jede von Menschen gemachte Abschirmung praktisch unge­hindert durch­dringen. „Von der Sonne kommen in jeder Sekunde etwa ein­hundert Milliarden Neutrinos pro Quadrat­zentimeter auf der Erde an und zwar am Tag wie in der Nacht. Weil aber Neutrinos nur über die schwache Wechsel­wirkung mit Materie in Kontakt treten, sind sie die am schwersten zu detek­tierenden Elementar­teilchen überhaupt“, erklärt Joachim Kopp vom Exzellenz­cluster PRISMA der JGU. Beim Beta­zerfall von radio­aktiven Spalt­produkten entstehen Neutrinos in sehr großen Mengen. Für ihre Detektion über den inversen Betazerfall müssen diese Teilchen jedoch eine Mindest­energie von 1,8 Mega­elektronen­volt aufweisen. Dann können sie in einem Szintillations­detektor, einem mit speziellen Mineralölen gefüllten Tank, nachgewiesen werden. Die hochenerge­tischen Teilchen wechsel­wirken in dem Tank mit den vorhandenen Protonen, wobei ein charak­teristisches Licht­signal entsteht.

Derartige Neutrino­detektoren werden versuchs­weise bereits zur Überwachung des laufenden Betriebs von Kernkraft­werken eingesetzt. Für die Überwachung von gelagertem Atommüll gibt es bisher noch keine Detektoren. „Laufende Reaktoren produ­zieren wesent­lich mehr Neutrinos als still­gelegte Reaktoren oder gelagertes radio­aktives Material“, erklärt Kopp mit dem Hinweis, dass es jedoch gerade aus Sicherheits­gründen wichtig wäre, den Verbleib von Atommüll im Auge zu behalten. Gemeinsam mit Vedran Brdar und sowie Patrick Huber von der US-Univer­sität Virginia Tech berechnete er zunächst den Neutrino­fluss, den radio­aktives Strontium-90 und andere in abge­branntem Kern­brennstoff vorkommende Spalt­produkte emittieren. Sie betrachtteen dann einige Szenarien, wie oder wo die Emissionen nachgewiesen werden könnten.

Besonders hilfreich wäre ein ent­sprechender Detektor demnach für die Über­wachung ober­irdischer Lager­stätten, zum Beispiel auf dem Gelände von Kernkraft­werken. Hier könnte ein Neutrino­detektor erkennen, falls radio­aktives Material undoku­mentiert wegge­schafft würde. Den Berechnungen zufolge würden die Messungen bei einem Detektor mit einem Volumen von vierzig Tonnen etwa ein Jahr lang laufen müssen. „Das klingt zwar lange, aber es genügt, den Detektor hinzu­stellen und abzuwarten. Der große Vorteil ist, dass wir so den Inhalt der Container über­prüfen können, ohne die Behälter überhaupt öffnen zu müssen“, erklärt Kopp das Verfahren. Es würde in der Regel ausreichen, wenn der Detektor zehn bis einhundert Meter entfernt aufgestellt wird, beispiels­weise auf dem Anhänger eines Last­wagens. Die Methode ist nach Einschätzung von Kopp insbe­sondere im Hinblick auf die Nicht­verbreitung atomwaffen­fähigen Materials interessant, weshalb die Euro­päische Atom­gemeinschaft EURATOM bereits Interesse bekundet hat.

In einem zweiten Szenario berechnen die Physiker die Situation bei der Überwachung von unter­irdischen Endlagern am Beispiel der vorge­schlagenen Endlager­stätte Yucca Mountain in Nevada. Hier würde ein signi­fikanter Neutrino­fluss selbst an der Oberfläche von einem kleinen Zehn-Tonnen-Tank entdeckt. „Allerdings können realis­tische Gefahren wie das Austreten nur geringer Mengen radio­aktiven Materials leider nicht erkannt werden“, so Kopp. Ein drittes Szenario, das sich die Wissen­schaftler in ihren Berechnungen vornahmen, war das Aufspüren von unvoll­ständig dokumen­tierten Lager­stätten, wie sie etwa auf dem Hanford-Gelände, einer noch aus Zeiten des Kalten Krieges stammenden und mittler­weile still­gelegten Nuklear­anlage im US-Bundesstaat Washington, existieren. „Dazu reicht die aktuelle Detektor­technologie noch nicht ganz aus, unter anderem weil die kosmische Strahlung die Messungen beein­trächtigt“, erklärt Kopp. Aller­dings gibt es bereits erste Proto­typen für Detek­toren, die dieses Problem vermeiden können.

JGU Mainz / JOL

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