Auch unsichtbare Unordnung stoppt Licht
Mehrfache Wechselwirkung zwingt Lichtwellen zur Anderson-Lokalisierung.
Einem Forscherteam aus Deutschland und Israel gelang jetzt der erste experimentelle Nachweis eines neuartigen physikalischen Effekts, der Lichtwellen daran hindert, sich räumlich auszubreiten. Bisher ging man davon aus, dass dieser Effekt zu schwach sei, um Licht tatsächlich einzusperren. Die Entdeckung der Wissenschaftler der Uni Rostock und des Technion zeigt jedoch, dass auch für das Licht nahezu unsichtbare Strukturen die Ausbreitung von Lichtwellen stark beeinflussen können.
Im Jahre 1958 zeigte der US-amerikanische Physiker Philip, dass ein elektrischer Leiter sich plötzlich wie ein elektrischer Isolator verhalten kann, wenn die atomare Gitterordnung stark genug gestört ist. Solch eine Unordnung kann die ansonsten frei beweglichen Elektronen schlagartig an Ort und Stelle lokalisieren und somit jeglichen Stromfluss unterbinden. Dieses Phänomen erhielt den Namen „Anderson-Lokalisierung“ und wurde erst mithilfe der modernen Quantenphysik erklärbar, in deren Rahmen Elektronen nicht nur als Teilchen, sondern gleichzeitig auch als Wellen betrachtet werden. Mittlerweile hat sich dieser Effekt, für dessen Voraussage Anderson 1977 einen Anteil des Nobelpreises in Physik erhielt, als allgemein gültig herausgestellt: Unordnung vermag auch die Ausbreitung von Schallwellen oder sogar Lichtwellen zu stoppen.
Alexander Szameit von der Universität Rostock und Mordechai Segev vom Technion befassen sich in ihren Arbeiten mit den Eigenschaften von Licht und seiner Wechselwirkung mit Materie. Erst jüngst machte das Team um Segev eine verblüffende Entdeckung: Lichtwellen könnten auch von einer neuartigen Unordnung gestoppt werden, die für die Wellen praktisch unsichtbar ist. Diese Art von Unordnung geht weit über Andersons Betrachtung hinaus, da sie bestimmte räumlich periodische Verteilungen stark bevorzugt. Bisher dachte man, dass nur solche Wellen beeinflusst werden können und deshalb eine Anderson-Lokalisierung zeigen, deren räumliche Strukturen zur Raumverteilung der Unordnung passen. Andere Wellen hingegen breiten sich beinahe ungestört aus.
Wie das Technion-Team jedoch in einer theoretischen Arbeit voraussagte, kann die Ausbreitung von Wellen auch von einer unsichtbaren Unordnung stark beeinflusst werden: Indem Lichtwellen mehrmals hintereinander mit der nahezu unsichtbaren Unordnung wechselwirken, kann ein unerwartet starker Effekt entstehen, der sogar solche Lichtwellen zur Anderson-Lokalisierung zwingt.
In enger Zusammenarbeit haben die beiden Teams ein Experiment entworfen und durchgeführt, das diesen Effekt erstmals demonstriert. „Wir konnten deutlich sehen, dass Lichtwellen selbst dann auf kleine Raumbereiche begrenzt werden, wenn die Unordnung für sie praktisch unsichtbar sein sollte“, sagt Sebastian Weidemann von der Uni Rostock. Für ihr Experiment erzeugten die Wissenschaftler die ungeordneten Strukturen künstlich im Labor.
„Dazu haben wir kilometerlange optische Glasfasern so miteinander verknüpft, dass die Lichtausbreitung in diesen Fasern die Bewegung von Elektronen in ungeordneten Materialien nachahmt“, so Weidemann. Die Entdeckungen sind ein wichtiger Schritt in der Grundlagenforschung zur Wellenausbreitung in ungeordneten Systemen und bilden potenziell die Grundlage für weitere technische Anwendungen, bei denen Unordnung selektiv Ströme unterdrücken kann – egal ob für Licht, Schall oder Elektronen.
U. Rostock / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Dikopoltsev et al.: Observation of Anderson localization beyond the spectrum of the disorder, Sci. Adv. 8, eabn7769 (2022); DOI: 10.1126/sciadv.abn7769 - Experimentelle Festkörperoptik (A. Szameit), Institut für Physik, Universität Rostock
- Non-linear Optics (M. Segev), Solid State Institute, Physics Department, Technion, Haifa, Israel