06.12.2018

Auf asymmetrischen Bahnen

Elektronenausbreitung bei Photoionisation unter energiereichen Bedingungen untersucht.

Die Photoelektronen­spektroskopie gehört zu den wichtigsten und aufschluss­reichsten Methoden der Experimental­physik. Dabei werden Moleküle oder Atome mit intensivem Licht beschossen und geben Elektronen ab. Die Analyse der emittierten Elektronen erlaubt Rück­schlüsse auf die Struktur der unter­suchten Materie, beispiels­weise zur Wellenfunktion der Elektronen oder zur Chiralität von Molekülen. Üblicher­weise verlassen die Elektronen das Atom oder Molekül symmetrisch in Bezug auf die Ausbreitungs­richtung, wenn das eingesetzte Licht eine in Relation große Wellen­länge hat; zunehmend asymmetrisch bei kurzer Wellen­länge.

Abb.: Geometrie des Spektrometer-Aufbaus an der Fermi-Beamline (Bild: M. Ilchen...
Abb.: Geometrie des Spektrometer-Aufbaus an der Fermi-Beamline (Bild: M. Ilchen et. al., Springer Nature)

Es ist bekannt, dass es Ausnahmen von dieser Näherung für neutrale Materie gibt, bisher wurde es allerdings noch nie für Ionen bestätigt. Jetzt haben Experimente unter Leitung einer Gruppe von Kasseler Experimental­physikern gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen auch bei großer Wellen­länge Elektronen aus ionischer Materie Impulse der Photonen aufnehmen und dadurch asymmetrisch aus­gesendet werden. Spektro­skopie an Ionen ist ein essentieller Bestandteil vieler nicht­linearer und zeit­aufgelöster Studien, die durch Freie-Elektronen-Laser stark erweitert wurden. Die neuen Erkenntnisse erweitern die Möglich­keiten solcher Versuche; vor allem aber sind sie künftig bei der Aus­wertung der anfallenden Daten zu berück­sichtigen, um die Ergebnisse korrekt zu analysieren und interpretieren.

Das an Freie-Elektronen-Lasern genutzte Prinzip zur Erzeugung von ionischer Materie ist die mehrfache Absorption von Licht­teilchen in sehr kurzer Zeit. Wenn mehrere solcher Photonen absorbiert werden, können ebenfalls mehrere Elektronen in schneller Abfolge heraus­gelöst werden. So entsteht nach und nach ionische Materie mit unter­schiedlichen Ladungs­zuständen, die abhängig von der Anzahl der absorbierten Photonen sind. Diese sequentielle (nicht­lineare) Photo­ionisation ermöglicht daher die Unter­suchung von ionischer Materie in einer revolutionären Art und Weise, die erst durch Freie-Elektronen-Laser (FEL) zugänglich gemacht wurde.

Wenn die Wellenlänge eines Photons deutlich größer ist als der absorbierende Teil der Materie, können die resultierenden Elektronen­emissionen normaler­weise durch eine Dipol­wechsel­wirkung beschrieben werden, sie werden also symmetrisch emittiert. Es gibt jedoch verschiedene Umstände, die zu einer asymmetrischen Streuung führen. Ein Beispiel ist eine relativ kurze Wellen­länge des Photons, weil es dann einen „Stoß“ an das Elektron abgibt. „Dies kann man sich wie einen Korken vorstellen, der sich bei langen Wasser­wellen auf dem Ozean nur auf und ab, aber nicht vorwärts oder rückwärts bewegt“, veranschaulicht Markus Ilchen, Nachwuchs­gruppen­leiter an der Universität Kassel und Haupt­autor der Studie. „Werden die Wellen sehr klein, werden sie dem Korken auch einen Impuls in Vorwärts­richtung mitgeben.“

Einen ähnlichen Impulsübertrag haben nun Wissen­schaftler eines inter­nationalen Konsortiums, geleitet von der Universität Kassel, dem European XFEL und DESY (beides in Hamburg), in ionischer Materie, die durch sequentielle Photo­ionisation erzeugt wurde. Die Forschungs­gruppe nutzte erstmals einen speziellen Operations­modus des Freie-Elektronen-Lasers Fermi in Italien, um Argon-Atome in der Gas­phase mit extremer Intensität zu bestrahlen (Petawatt pro Quadrat­zentimeter) und so effizient winkel­aufgelöste Spektro­skopie an einfach geladenem Argon realisieren zu können. Die Wellen­länge der genutzten Strahlung war hierbei so lang, dass die Elektronen eigentlich symmetrisch hätten streuen müsste. Der dennoch klar zu sehende Impuls­übertrag hatte aber eine asymmetrische Emission im neutralen und sogar noch stärker im ionischen Argon zur Folge. Möglich wurde diese Unter­suchung durch die gezielte Ausnutzung eines Minimums in der Wechsel­wirkungs­wahrscheinlichkeit zwischen dem Licht und den Atomen (einem Cooper-Minimum), das eine Art Zoom in den Impuls­übertrag erlaubt.

Die Wissenschaftler erwarten durch die neuen Erkenntnisse eine genauere Beschreibung von Photo­ionisation bei großen Intensitäten, aber auch vertiefende Anwendungen im Bereich der Fest­körper­physik, der Astro­physik, sowie zeit­aufgelöster Studien, etwa von chiraler Materie.

U. Kassel / DE

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