Auf Biegen und Schwingen: Hightech-Rotorblätter im Test
Strukturdynamische Tests liefern weltweit einmalige Daten und ermöglichen Aufbau eines digitalen Zwillings der Rotorblätter.
Mit dem Forschungspark Windenergie baut das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt im niedersächsischen Krummendeich eine in dieser Form einmalige Anlage auf. Sie ermöglicht es, die technologischen Aspekte der Windkraft im Realmaßstab zu erforschen. Die zwei Windenergieanlagen des Forschungsparks verfügen dazu über spezielle Rotorblätter: Sie wurden bereits während der Herstellung beim Industrieunternehmen Enercon mit etwa 1500 Sensoren ausgestattet. Mit ihnen wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie sich Windenergieanlagen leiser, langlebiger und effizienter auslegen und nachhaltiger betreiben lassen.
Bevor die Rotorblätter im Forschungspark montiert werden, haben sie im Sommer einen Zwischenstopp in Bremerhaven gemacht. Am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme wurden alle sechs Blätter umfassenden strukturdynamischen Tests unterzogen. Bei diesen grundlegenden Untersuchungen konnte das Team der DLR und des Fraunhofer-IWES wichtige Eigenschaften der Rotorblätter bestimmen und einen weltweit einmaligen Datenschatz gewinnen. Die Daten ermöglichen sehr genaue Aussagen zum Verhalten der Blätter und tragen dazu bei, Simulationen zu bestätigen und weiterzuentwickeln.
Außerdem können die Forscher so einen „digitalen Zwilling“ der Rotorblätter aufbauen. Dieser hilft Forschung und Industrie dabei, neue Standards zu entwickeln und die Blatt-Fertigung zu verbessern. „Mit diesen Tests haben wir den Grundbaustein gelegt, um später mit den Rotorblättern vor Ort in Krummendeich forschen zu können“, erklärt Yves Govers vom DLR-Institut für Aeroelastik.
Für die Versuche hängte das Test-Team die je etwa zwanzig Tonnen schweren und 57 Meter langen Rotorblätter nacheinander mit Gummiseilen an einen Kran. Dann wurden die Blätter mit einem speziellen Rüttelgerät oder mit Hammerschlägen in Schwingung versetzt. Durch die spezielle Aufhängung konnten die Forscher die natürliche Schwingung des Blattes ohne den Einfluss von Umweltbedingungen bestimmen.
Gleichzeitig nutzten sie den Versuch, um die bereits während der Produktion an und in den Blättern verbauten rund Sensoren einzurichten und zu testen. Zusätzlich brachten sie speziell für diese Versuche viele weitere Messpunkte und Sensoren über die komplette Länge der Blätter an und maßen sie ein. Bei einer zweiten Art von Test montierten die Forscher eines der baugleichen Blätter an einen Prüfstand und zogen an ihm, um so Statik, Deformation und innere Belastung zu testen.
Bei modernen Windenergieanlagen werden die Blätter immer länger und gleichzeitig dank neuartiger Werkstoffe immer leichter. So können die Anlagen effizienter betrieben und auch Standorte genutzt werden, die weniger windintensiv sind. Damit sind jedoch auch neue technische Herausforderungen verbunden: Die Blätter stehen niemals wirklich still, sondern sind immer in Schwingung – ob durch Luftbewegungen oder selbst durch kleinste Vibrationen im Untergrund, die sogenannte Mikroseismik.
„Für einen effizienten, leisen und sicheren Betrieb muss man deshalb das Verformungsverhalten der Rotorblätter gut kennen. Ein Blatt biegt sich durch, verdreht sich dabei aber auch. Besonders der Grad dieser Verdrehung ist wichtig, um die Effizienz zu steigern“, erklärt Govers. „Wir schauen uns aber auch die Belastung der Rotorblätter an. Dazu haben wir über mehrere Blattabschnitte spezielle Sensoren integriert. So können wir über die ganze Länge des Blattes die Belastung aufgrund der Anströmung im Betrieb auswerten. Weitere Sensoren dienen der Früherkennung von Schäden. Mit dieser umfassenden Instrumentierung erhoffen wir uns ganz neue Erkenntnisse über die Blattverformung und Blattbelastung.“
Bereits jetzt melden sich Wissenschaftler aus ganz Europa beim DLR-Team und zeigen Interesse an dessen Arbeit. „Ich kenne nichts Vergleichbares“, bilanziert Govers. „Die Anlage ist wahrscheinlich die weltweit am umfassendsten mit Sensoren ausgestattete Windenergieanlage und wird auf Jahre ihresgleichen suchen.“ Die sechs Hightech-Rotorblätter machen sich noch diesen Herbst auf den Weg in den Forschungspark Windenergie und werden dort dann montiert.
DLR / RK
Weitere Infos
- Forschungsparks Windenergie, Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Krummendeich
- Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme, Bremerhaven