10.07.2014

Autobahn für ultrakalte Atome

Forscher finden Analogon zum Meißner-Effekt in optischen Kristallen.

Wirkt ein äußeres Magnetfeld auf einen Supraleiter, so bilden sich Oberflächenströme, die dem Magnetfeld entgegenwirken und es aus dem Inneren des Supraleiters verdrängen. Das von Walther Meißner und Robert Ochsenfeld 1933 entdeckte quantenmechanische Phänomen hat in vielen Bereichen von der Magnetschwebetechnik bis hin zur Medizin Anwendung gefunden. Einer Gruppe von Wissenschaftler um Immanuel Bloch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik ist es nun in Zusammenarbeit Belén Paredes vom Institut für theoretische Physik in Madrid erstmals gelungen, einen ähnlichen Effekt mit ultrakalten Atomen in optischen Gittern zu simulieren. Das von ihnen realisierte System stellt das einfachste System dar, in dem ein solches Verhalten möglich ist und bestätigt mehr als zwanzig Jahre alte theoretische Vorhersagen. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler den Phasenübergang von der Meißner-Phase zu einer Vortexphase beobachten, in der die Oberflächenströme Wirbel bilden und das Feld daher nicht mehr vollständig aus dem Supraleiter verdrängen.

Abb.: Schematische Darstellung des optischen Kristalls mit Leiter-ähnlicher Struktur. Die blauen und gelben Kugeln zeigen, wie sich die Atome in der Meißner-Phase in entgegengesetzte Richtungen bewegen. (Bild: MPQ)

Supraleiter unterscheiden sich von herkömmlichen Leitern: Unterhalb einer bestimmten kritischen Temperatur von typischerweise wenigen Kelvin findet ein Phasenübergang statt – sie leiten Strom dann verlustfrei. Bringt man einen Supraleiter in ein externes Magnetfeld, verhindern Oberflächenströme ein Eindringen des Feldes ins Innere des Supraleiters. Die Stärke der Oberflächenströme skaliert dabei mit der Stärke des angelegten Feldes. Eine vollständige Abschirmung ist allerdings nur bis zu einer maximalen kritischen Magnetfeldstärke möglich. Abhängig von ihrem Verhalten bei noch größeren Feldstärken unterscheidet man verschiedene Klassen von Supraleitern. Bei einigen von ihnen, den Supraleitern 2. Art, bilden sich Vortex- oder Wirbelstrukturen in den Oberflächenströmen, die ein vollständiges Verdrängen des Magnetfeldes aus dem Inneren des Supraleiters verhindern. Ein tieferes theoretisches Verständnis dieser Eigenschaften ist vor allem für die Materialwissenschaft von großer Bedeutung. Hierbei könnten kalte Atome in optischen Gittern helfen, da sie vergrößerte Modelle von Festkörperkristallen darstellen und sich experimentell sehr gut kontrollieren lassen. „Bisher war es jedoch nicht möglich, derartige Effekte mit kalten Atomen in optischen Gittern zu simulieren“, erklärt Marcos Atala, ein Wissenschaftler in Blochs Team.

In ihren Experimenten ordnen die Forscher extrem kalte Rubidiumatome mithilfe von Laserstrahlen in einem Gitter an, einem optischen Kristall. Die Atome befinden sich dabei abhängig von der Frequenz des verwendeten Lasers in den Intensitätsmaxima und  -minima von stehenden optischen Wellen. Die so erzeugte Gitterstruktur stellt ein ideales Modell eines Festkörperkristalls dar, in dem die Atome die Rolle der Elektronen spielen. Um das Verhalten der erwähnten Ströme messen zu können, haben die Wissenschaftler neue Messmethoden in Leiter-ähnlichen optischen Gittern entwickelt.

Elektronen in einem Festkörperkristall, der sich in einem externen Magnetfeld befindet, werden durch die Lorentzkraft, die senkrecht zur Bewegungsrichtung wirkt, auf Kreisbahnen gezwungen. Atome in optischen Kristallen, wie sie die Münchner Forscher verwenden, sind dagegen elektrisch neutral und spüren daher keine Lorentzkraft. Um diese Limitierung zu umgehen, haben die Wissenschaftler eine Technik entwickelt, bei der sie den Effekt eines Magnetfeldes mit einer speziellen Laserstrahlenanordnung simulieren. Dabei gibt ein zusätzliches Strahlenpaar den Atomen einen Kick, wenn sie sich von einer Seite der optischen Leiter auf die andere bewegen. Bewegen sie sich in die entgegengesetzte Richtung, erfahren sie auch einen umgekehrten Impuls. Auf diese Weise ist es Bloch und seinem Team gelungen, künstliche Magnetfelder zu erzeugen, die einer Stärke von mehreren tausend Tesla entsprechen – einem Wert, der mit herkömmlichen Methoden im Labor nicht erreichbar ist.

In den optischen Leitersystemen treten, ähnlich wie bei einem Supraleiter, eine Meißner- und eine Vortexphase auf. Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass die induzierten Ströme aufgrund der Ladungsneutralität der Atome kein Magnetfeld erzeugen, das dem angelegten Feld entgegenwirkt. Um den Übergang zwischen den beiden Phasen experimentell beobachten zu können, haben die Münchner Wissenschaftler eine neue Messmethode entwickelt, mit der sie die Ströme auf den beiden Seiten der Leiter unabhängig voneinander messen können. Die Ströme erreichen ihr Maximum in der Meißner-Phase und nehmen in der Vortexphase aufgrund der Wirbelströme ab.

Die Messung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Simulation von Festkörpern mithilfe ultrakalter Atome in optischen Gittern dar. Sie eröffnet vielfältige Möglichkeiten, um Phänomene wie den integralen oder den fraktalen Quanten-Hall-Effekt zu studieren, und zwar auch in Bereichen, in denen die Wechselwirkung zwischen Teilchen eine wichtige Rolle spielt. Darüber hinaus könnte eine Kombination des Systems mit einem Quantengas-Mikroskop einzelne Atome im Gitter und somit die Wirbelstrukturen der Ströme sichtbar machen. „Diese neuen Messmethoden helfen uns, ein besseres Verständnis von Phasenübergängen und der Dynamik von Quantenmaterie unter dem Einfluss sehr starker Magnetfelder zu erhalten“, betont Bloch.

MPQ / RK

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen