Basis für gemischte Licht-Materie-Phasen
Eingeschlossenes Licht für die Erzeugung neuer Materialeigenschaften.
Photonen in einem Hohlraumresonator können Ferroelektrizität in Kristallen aus Strontiumtitanat (SrTiO₃) verursachen, so eine neue Studie der Theorie-Gruppe des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie MPSD in Hamburg. Die Photonen, die im Vakuum des Hohlraums erzeugt und wieder zerstört werden – gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik – können das Verhalten der Elektronen und Atome im SrTiO₃-Kristall erheblich verändern. Die theoretischen Vorhersagen des Teams zeigen das große Potenzial von auf kleinem Raum eingeschlossenem Licht für die Erzeugung neuer Materialeigenschaften.
Die Ergebnisse ebnen den Weg für die Erforschung neuartiger gemischter Licht-Materie-Phasen, welche die Forscher "Photo-Grundzustände" nennen. Dies sind Phasen, in denen die Atome und Elektronen des Materials durch die starke Wechselwirkung mit im Hohlraum eingeschlossenem Licht einen neuen, stabilen Zustand erreichen. Materialphasen, wie etwa magnetische, supraleitende oder ferroelektrische Phasen, werden unter Anderem durch das kollektive Verhalten der Atome und Elektronen des Materials bestimmt. Wenn solche mikroskopischen Komponenten gezwungen werden, stark mit Licht zu interagieren, kann sich ihr kollektives Verhalten grundlegend ändern, so dass das Material eine neue, stabile Phase entwickelt. So ließe sich Licht als ein zusätzliches Werkzeug einsetzen, um Materialphasen zu erzeugen und ihre Eigenschaften auf bestimmte technologische Anwendungen zuzuschneiden, wie zum Beispiel die Informationsverarbeitung, Sensorik oder die Energieerzeugung durch Sonnenlicht.
Das Team sagt nun einen neuartigen Photo-Grundzustand für den SrTiO₃-Kristall voraus, sobald er in einem optischen Hohlraumresonator platziert wird, wo das Licht zwischen zwei Metallplatten auf kleinem Raum stark eingeengt wird. Dies verstärkt die Wechselwirkung zwischen den Photonen und den Teilchen des eingebetteten Materials. In SrTiO₃ können die positiv geladenen Titanatome gegenüber den negativ geladenen Sauerstoffatomen schwingen, was oszillierende Dipole erzeugt. Im üblichen Grundzustand treten solche Schwingungen nur als zufällige Bewegungen der Ionen auf, die Quantenfluktuationen, welche sich normalerweise gegenseitig aufheben und keinen beobachtbaren Effekt haben.
Wird SrTiO₃ jedoch in einen optischen Hohlraum platziert, verhält sich das Material vollkommen anders. Die atomistische Beschreibung der Theoretiker zeigt, dass die Vakuumfluktuationen der Photonen im Hohlraum wiederum kollektiv die Quantenfluktuationen der Kerne im Material verändern können. Dadurch beginnen die oszillierenden Dipole gemeinsam zu schwingen, anstatt sich zufällig zu bewegen, und erzeugen ein makroskopisches elektrisches Feld. Es entsteht eine ferroelektrische Phase, welche nun zum bevorzugten Grundzustand statt der quantenparaelektrischen Phase wird, in der kein makroskopisches elektrisches Feld vorhanden ist.
Die Arbeit des Teams zeigt, dass die eingeengten Photonen komplexen Eigenschaften des SrTiO₃-Kristalls, wie seine Kristallstruktur und die Schwingungsfrequenzen, verändern. Daher kann das Standard-Phasendiagramm mit der neuen Dimension von Licht-Materie-Kopplung erweitert werden. Nun kann die Phase eines Materials nicht nur über Druck und Temperatur gesteuert werden, sondern auch über die Kopplung von Materie an Licht. „Unsere Entdeckung beruht auf der fundamentalen quantenmechanischen Natur von Materie und Licht und wie beide gemeinsam die Eigenschaften eines Materials verändern können", sagt Simone Latini, Postdoktorand am MPSD. „Diese Studie hat bereits eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt motiviert, daran zu arbeiten, die Existenz des vorgeschlagenen Grundzustands experimentell nachzuweisen.“ Das Team ist nun auf der Suche nach dem nächsten Photo-Grundzustand, um weitere innovative Wege für die Steuerung von Materialeigenschaften in Hohlräumen zu erschließen.
MPSD / JOL