13.12.2017

Bosonenfalle für Fermionen

Mischung aus Fermi-Gas und Bose-Einstein-Kondensat uner­wartet stabil.

Kalte Quantengase eignen sich hervorragend, um die Grund­lagen der Quanten­physik zu über­prüfen und neu­artige Phäno­mene zu unter­suchen. In den ver­gan­genen Jahren haben es insbe­son­dere Mischungen ver­schieden­artiger Atom­gase erlaubt, unge­wöhn­liche Quanten­eigen­schaften wie Pola­ronen aus Fermionen und Bosonen oder supra­flüssige Mischungen zu studieren. Ganz neue Phasen, ver­mittelte lang­reich­weitige Wechsel­wirkung oder unge­wohntes Bindungs­ver­halten sind theore­tischen Modellen zufolge zu erwarten. Insbe­son­dere die Kombi­nation von Fermionen und Bosonen mit stark unter­schied­licher Masse sollte neu­artige Phäno­mene offen­baren. Bis­lang hat es sich aller­dings als schwierig erwiesen, sehr unter­schied­lich schwere Fermionen und Bosonen gemein­sam auf die not­wendigen tiefen Tempe­ra­turen zu bringen und zusammen­zu­halten.

Abb.: Bei stark anziehenden Kräften zwischen beiden Teil­chen­sorten bleiben die Lithium-Atome (rot) im Cäsium-Bose-Einstein-Kondensat (blau) gefangen. (Bild: B. J. DeSalvo et al. / APS)

Einem Forscherteam um Cheng Chin von der Univer­sity of Chicago ist jetzt genau das gelungen. Dabei war das von ihnen kontrol­lierte Teilchen­gemisch sogar stabiler, als die gängigen Theorien es erwarten lassen. Diese über­raschende Stabi­lität ist experi­mentell einer­seits ein Segen, denn sie ermög­licht Messungen, die bis­lang für unmög­lich galten. Auf der anderen Seite stellt sie Anforde­rungen an die Theore­tiker, solche Quanten-Viel­teilchen­probleme noch­mals mit anderen Methoden anzu­gehen.

Die Wissenschaftler wählten fermionisches Lithium-6 und boso­nisches Cäsium-133 als atomare Gase, da diese Kombi­nation den größten Massen­unter­schied bei stabilen Alkali­atomen mit sich bringt und ihre Wechsel­wirkungen gut bekannt sind. Außer­dem besitzen diese Atom­sorten Fesh­bach-Reso­nanzen bei Magnet­feldern, bei denen sowohl das Einstein-Bose-Kondensat aus Cäsium als auch das Fermi-Gas aus Lithium stabil sind.

Zunächst fingen die Forscher je rund zwei Millionen Lithium- und Cäsium-Atome separat in einer optischen Falle ein und kühlten sie erst mit Hilfe von Lasern, dann mit Ver­dunstungs­kühlung auf etwa drei­hundert Nano­kelvin herunter. Danach luden sie beide Atom­sorten in eine gemein­same optische Dipol­falle, die den unter­schied­lichen Ein­fluss der Erd­an­ziehung auf die ver­schieden schweren Atom­sorten aus­glich. Nach einer weiteren Ver­dunstungs­kühlung blieb ein Bose-Einstein-Kondensat aus rund 10.000 Cäsium-Atomen bei einer Tempe­ratur von zwanzig Nano­kelvin übrig. Hierin befanden sich bis zu einige hundert Lithium-Atome mit etwas höherer Tempe­ratur. Da sich die Effi­zienz der Laser­kühlung bei beiden Atom­sorten spürbar unter­scheidet, hatten bis­herige Ver­suche Schwierig­keiten, Tempera­turen unter hundert Nano­kelvin zu erreichen, ohne dass beide Atom­sorten sich trennen.

„Wir haben eine zweifarbige Dipolfalle benutzt und den magne­tischen Feld­gradi­enten sehr sorg­fältig kontrol­liert, um guten Kontakt zwischen beiden Atom­sorten bis hinunter zu zwanzig Nano­kelvin zu garan­tieren und eine gute Über­lappung der Atom­wolken zu gewähr­leisten“, sagt Chin. Anzie­hende oder absto­ßende Kräfte zwischen den Lithium- und Cäsium-Atomen konnten die Forscher dann durch die Wahl des ange­legten Magnet­felds fest­legen. Die Lithium-ome blieben dabei im Cäsium-Kondensat ein­ge­schlossen.

Vor allem bei anziehenden Kräften zwischen beiden Atom­sorten zeigte sich ein über­raschendes Ver­halten: Gängigen theore­tischen Viel­teilchen-Modellen zufolge sollte es eine klare Grenze geben, wie stark Fermi-Bose-Mischungen mit­ein­ander wechsel­wirken können, bevor sie kolla­bieren. Das System blieb jedoch auch jen­seits dieser Grenze stabil. Dadurch ist es nun mög­lich, die Wechsel­wirkung zwischen Bose-Einstein-Kondensat und Fermi-Gas auch bei unge­wöhn­lichen Para­metern zu studieren.

Mit solchen gemischten Systemen aus Fermionen und Bosonen stark unter­schied­licher Masse eröffnen sich Möglich­keiten, quanten­physika­lische Para­meter­bereiche unter die Lupe zu nehmen, die bis­lang für kaum reali­sier­bar galten. Dank der über­raschenden Stabi­lität dieser Mischung sollten sich neu­artige Quanten­phäno­mene erforschen lassen, die anderen Experi­mentier­techniken noch nicht zugäng­lich sind. Eine Möglich­keit besteht etwa darin, mole­kulare Quasi­teilchen zu erzeugen, die keine Ent­sprechung in der Natur haben.

Mit diesem Aufbau lassen sich auch unbewegliche Verun­reini­gungen in einem Fermionen-Gas unter­suchen – ein übliches Problem in der Fest­körper­physik. Da die Cäsium-Atome sehr viel schwerer sind als die Lithium-Atome, kann dieser Versuchs­aufbau somit als Simu­lator für Material­eigen­schaften dienen.

Mit einem solchen System kann man aber auch das Verhalten des Bose-Einstein-Kondensats studieren, wie es sich in einem „Fermi-See“ bewegt. Die Dynamik eines Bose-Einstein-Kondensats hängt schließ­lich auch von den Wechsel­wirkungen mit den Fermionen ab und sollte sich deshalb von der Dynamik im Vakuum deutlich unter­scheiden.

Die Forscher stehen mit ihren Experimenten aber noch am Anfang und wollen in Zukunft schritt­weise über­prüfen, wie weit sie über die theore­tisch vor­her­ge­sagten Grenzen hinaus­ge­langen können. Hierzu wollen sie in Zukunft nicht nur die Stärke der Wechsel­wirkungen erhöhen, sondern auch ver­suchen, ver­schie­dene kollek­tive Moden des Systems anzu­regen. Solche Ver­suche könnten sowohl für neue Über­raschungen sorgen als auch wichtigen Daten­grund­lagen für künftige theore­tische Studien liefern.

Dirk Eidemüller

RK

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