03.11.2011

Brüsseler Spitzen der Physik

Jubiläumsveranstaltungen feiern hundert Jahre Solvay-Konferenzen für Physik.

Wenn es so etwas wie ein Klassenbild der modernen Physik gibt, dann dürfte es das Gruppenbild der ersten Solvay-Konferenz von 1911 sein. Vor hundert Jahren trafen sich die renommiertesten Physiker im Hotel Metropol in Brüssel, um die „Theorie der Strahlung und Quanten“ zu diskutieren. Zu bereden gab es viel. Neue Hypothesen und Theorien wie Max Plancks Quantenhypothese, Albert Einsteins Arbeiten des „annus mirabilis“ 1905 und der „Dritte Hauptsatz der Thermodynamik“ von Walther Nernst brachten nicht nur neue Erkenntnisse, sondern rüttelten an den Grundfesten der modernen Physik.

Nernst brachte den Stein ins Rollen. Er suchte nach dem Grund dafür, dass sich der absolute Temperaturnullpunkt nicht erreichen lässt. Daher schlug er dem belgischen Industriellen Ernest Solvay eine Konferenz vor, in der sich die führenden Physiker mit den großen Fragen nach der Natur der Strahlung und der Quanten befassen sollten. Nernst sprach gar von einem „Konzil“ in Anlehnung an das kirchliche Bischofskollegium.

Ernest Solvay war mit seinem neuen Verfahren der Soda-Herstellung zu Reichtum gekommen. Seine Leidenschaft galt jedoch der Wissenschaft, insbesondere der Physik und Chemie. Robert Goldschmidt, ein aus Belgien stammender Doktorand von Nernst, stellte den Kontakt zu Solvay her. Der machte aus dem „Konzil“ einen weniger klerikalen „Rat“ („conseil“) und erweiterte die zunächst fast rein deutsche Teilnehmerliste von Nernst um Physiker aus anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Holland und Dänemark. Aus heutiger Perspektive liest sich die Teilnehmerliste wie ein Register aus einem Buch über Physikgeschichte: Langevin, Einstein, Planck, Sommerfeld, Wien, Kamerlingh-Onnes, Rutherford, Jeans, Nernst, Lorentz. Einzige Frau war Marie Curie. Sie gehört neben Langevin zu den einzigen, die bei allen Solvay-Konferenzen vor dem Zweiten Weltkrieg vertreten war. 1912 entstand das Solvay-Institut für Physik, das auch heute noch die Forschung von Physikern aus aller Welt fördert. Seit 1922 gibt es eigene Solvay-Konferenzen für die Chemie. Die Familie Solvay ist übrigens auch in der sechsten Generation dem Erbe des Firmengründers verpflichtet, sowohl geschäftlich als auch in Bezug auf die Wissenschaftsförderung.

Eine vergleichbare Wirkung wie das erste Treffen in Brüssel 1911 entfaltete die Solvay-Konferenz von 1927, auf der es zum berühmten Gedankenaustausch zwischen Bohr und Einstein zur Deutung der Quantenmechanik kam. In Zeiten des Internets lassen sich die Vorträge und Diskussionen problemlos nachlesen, Französisch- bzw. Englisch-Kenntnisse vorausgesetzt (siehe weiterführende Links unten.)

Die großen Umbrüche durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg bedeuteten eine lange Zäsur. Nach 1933 dauerte es 15 Jahre bis zur ersten Solvay-Konferenz nach dem Kriege, die sich den „Elementarteilchen“ widmete. Zwar gab es eine Fülle experimenteller Funde, aber der Weg war noch weit bis zum Standardmodell der Elementarteilchen. Bis heute versammeln sich in unregelmäßigen Abständen führende Physikerinnen und Physiker, darunter zahlreiche Nobelpreisträger, um sich den aktuellen großen Fragen ihres Faches zu widmen. 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 25. Solvay-Konferenz, die sich mit der Theorie der Quantenwelt befasste, wie schon die erste Konferenz 1911. (Fot: Solvay Insitute)

Ende Oktober leitete der David Gross (Nobelpreis 2004) die Jubiläumskonferenz, die sich, wie könnte es anders sein, der „Theorie der Quantenwelt“ widmete. Wie vor hundert Jahren brennen den Physikern grundlegende Fragen auf den Nägeln, angefangen von den bislang erfolglosen Versuchen, Quantenmechanik und Gravitationstheorie in einer grundlegenderen Theorie zu vereinigen, über die rätselhafte Dunkle Materie bzw. Dunkle Energie bis hin zur Frage, welche Rolle die Quantenmechanik für die Welt des Lebendigen spielt.

In einer der kommenden Ausgaben des Physik Journals wird der Wissenschaftshistoriker Arne Schirrmacher einen detaillierten Blick auf die Entstehung der Solvay-Konferenzen und ihrer Folgen werfen. Wer sich vor Ort mit der Geschichte der Solvay-Konferenzen befassen will, der kann sich noch bis 21. Dezember im Brüsseler Palais des Académies die Jubiläums-Ausstellung anschauen, die auch instruktive Experimente und zeitgeschichtliche Bezüge präsentiert.

Alexander Pawlak

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