19.11.2018

Chemische Reaktion in Echtzeit

Entstehung einer metallischen Bindung in Indium-Drähten beobachtet.

Einem Team von Physikern unter der Leitung von Wolf Gero Schmidt, Univer­sität Paderborn, und Martin Wolf, Fritz-Haber-Institut Berlin, ist ein entschei­dender Durchbruch gelungen: Sie haben weltweit zum ersten Mal und in Echtzeit die Änderung der Elektronen­struktur während einer chemischen Reaktion beobachtet. Mithilfe umfang­reicher Computer­simulationen haben die Wissenschaftler die Ursachen und Mechanismen der Elektronen­umverteilung aufgeklärt und visua­lisiert.

Abb.: Künstlerische Darstellung der optisch angeregten Indium-Drähte während einer chemischen Reaktion. (Bild: A. Lücke, Univ. Paderborn)

„Chemische Reaktionen sind durch die Bildung bzw. den Bruch chemischer Bindungen zwischen Atomen und den damit verbundenen Änderungen atomarer Abstände gekenn­zeichnet“, erklärt Wolf Gero Schmidt. „Diese Bewegungen auf atomaren Skalen sind extrem schnell: im Billiardstel einer Sekunde. Während der Reaktion verschieben sich aber nicht nur die Atome, sondern es verändern sich auch die Posi­tionen und Energien der Elektronen in der Umgebung. Diese Dynamik ist entscheidend für die Bildung einer chemischen Bindung. Bis jetzt war sie jedoch nicht messbar“, so der Paderborner Wissen­schaftler.

Um der zeitlichen Änderung der Elektronen­struktur auf die Spur zu kommen, präparierten die Physiker atomar dünne Drähte aus Indium auf einer Silizium­oberfläche. Im Grund­zustand bleiben die Elektronen bei ihren ent­sprechenden Indium­atomen. Wenn dem System jedoch mit einem Laser mehr Energie zugeführt wird, verteilen sich die Elektronen entlang der Indium-Drähte und es entsteht eine metallische Bindung. Mittels Licht­bestrahlung unter verschie­denen Winkeln verfolgten die Forscher die dabei auftre­tenden Änderungen von Energie und Impuls der Elektronen. Die Forscher konnten so der Entstehung einer chemischen Bindung zusehen. Diese dauert nur wenige Femto­sekunden. Durch Simu­lationen am Computer entstand anschließend eine Art Live-Aufnahme der chemischen Reaktion.

„Die quanten­mechanische Berechnung der vielen angeregten Elektronen, die sich im komplexen Zusammen­spiel mit der Dynamik der Atome befinden, erfordert Super­computer-Ressourcen“, so Schmidt. Diese wurden durch das Pader­borner Zentrum für Paralleles Rechnen und das Höchstleistungs­rechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt. Durch die Simulation wurde das physi­kalische Konzept von Energie- und Impuls­verteilung der Elektronen mit dem chemischen Bild der Bindung zusammengeführt. „Die wechsel­seitige Beein­flussung von atomaren und elek­tronischen Freiheits­graden im Verlauf einer chemischen Reaktion ist gewisser­maßen der Heilige Gral der Chemie“ erklärt Schmidt. „Durch die Simulationen konnten wir in bisher uner­reichter Detail­schärfe den Zusammen­hang zwischen elek­tronischer Anregung und Reaktions­pfad aufklären. Das wird uns zukünftig erlauben, elek­tronische Anregungen für Wunsch­reaktionen maßzu­schneidern.“

Univ. Paderborn / JOL

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