Chemische Reaktion in Echtzeit
Entstehung einer metallischen Bindung in Indium-Drähten beobachtet.
Einem Team von Physikern unter der Leitung von Wolf Gero Schmidt, Universität Paderborn, und Martin Wolf, Fritz-Haber-Institut Berlin, ist ein entscheidender Durchbruch gelungen: Sie haben weltweit zum ersten Mal und in Echtzeit die Änderung der Elektronenstruktur während einer chemischen Reaktion beobachtet. Mithilfe umfangreicher Computersimulationen haben die Wissenschaftler die Ursachen und Mechanismen der Elektronenumverteilung aufgeklärt und visualisiert.
Abb.: Künstlerische Darstellung der optisch angeregten Indium-Drähte während einer chemischen Reaktion. (Bild: A. Lücke, Univ. Paderborn)
„Chemische Reaktionen sind durch die Bildung bzw. den Bruch chemischer Bindungen zwischen Atomen und den damit verbundenen Änderungen atomarer Abstände gekennzeichnet“, erklärt Wolf Gero Schmidt. „Diese Bewegungen auf atomaren Skalen sind extrem schnell: im Billiardstel einer Sekunde. Während der Reaktion verschieben sich aber nicht nur die Atome, sondern es verändern sich auch die Positionen und Energien der Elektronen in der Umgebung. Diese Dynamik ist entscheidend für die Bildung einer chemischen Bindung. Bis jetzt war sie jedoch nicht messbar“, so der Paderborner Wissenschaftler.
Um der zeitlichen Änderung der Elektronenstruktur auf die Spur zu kommen, präparierten die Physiker atomar dünne Drähte aus Indium auf einer Siliziumoberfläche. Im Grundzustand bleiben die Elektronen bei ihren entsprechenden Indiumatomen. Wenn dem System jedoch mit einem Laser mehr Energie zugeführt wird, verteilen sich die Elektronen entlang der Indium-Drähte und es entsteht eine metallische Bindung. Mittels Lichtbestrahlung unter verschiedenen Winkeln verfolgten die Forscher die dabei auftretenden Änderungen von Energie und Impuls der Elektronen. Die Forscher konnten so der Entstehung einer chemischen Bindung zusehen. Diese dauert nur wenige Femtosekunden. Durch Simulationen am Computer entstand anschließend eine Art Live-Aufnahme der chemischen Reaktion.
„Die quantenmechanische Berechnung der vielen angeregten Elektronen, die sich im komplexen Zusammenspiel mit der Dynamik der Atome befinden, erfordert Supercomputer-Ressourcen“, so Schmidt. Diese wurden durch das Paderborner Zentrum für Paralleles Rechnen und das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt. Durch die Simulation wurde das physikalische Konzept von Energie- und Impulsverteilung der Elektronen mit dem chemischen Bild der Bindung zusammengeführt. „Die wechselseitige Beeinflussung von atomaren und elektronischen Freiheitsgraden im Verlauf einer chemischen Reaktion ist gewissermaßen der Heilige Gral der Chemie“ erklärt Schmidt. „Durch die Simulationen konnten wir in bisher unerreichter Detailschärfe den Zusammenhang zwischen elektronischer Anregung und Reaktionspfad aufklären. Das wird uns zukünftig erlauben, elektronische Anregungen für Wunschreaktionen maßzuschneidern.“
Univ. Paderborn / JOL