Chemisches Chamäleon gezähmt
Computersimulationen zeigen: Protoniertes Methan erhält durch Mikrosolvatation eine Struktur.
Wie man das Chamäleon unter den Molekülen dazu bekommt, sich auf ein bestimmtes „Aussehen“ festzulegen, hat Dominik Marx von der Ruhr-Universität Bochum mit seinem Team herausgefunden. Das Molekül CH5+ lässt sich normalerweise nicht durch eine einzige starre Struktur beschreiben, sondern ist dynamisch flexibel. Mit Computersimulationen zeigte das Team vom Lehrstuhl für Theoretische Chemie, dass CH5+ eine bestimmte Struktur annimmt, sobald man Wasserstoffmoleküle anlagert. „Damit haben wir einen wichtigen Schritt getan, um in Zukunft experimentelle Schwingungsspektren zu verstehen“, sagt Marx.
Abb.: Je nachdem, wie viele H2-Lösungsmittelmoleküle (blau) sich an das CH5+-Molekül anlagern, verändert sich der Bereich, in dem sich die Wasserstoffe des CH5+-Moleküls bewegen (rot); seine Struktur wird also teilweise „eingefroren“. Die Flächen repräsentieren quantenmechanische Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichten bei einer Temperatur von 20 Kelvin. (Bild: A. Witt, S. Ivanov, D. Marx)
Die Säure CH5+ kommt im Weltall vor – dort, wo sich neue Sterne bilden. Forscher entdeckten das Molekül schon in den 1950er-Jahren, doch viele seiner Eigenschaften sind nach wie vor unbekannt. Anders als herkömmliche Moleküle, in denen alle Atome eine feste Position besitzen, bewegen sich die fünf Wasserstoffatome in CH5+ ständig um das Kohlenstoffzentrum (hydrogen scrambling). Nun wollte Marx‘ Team wissen, ob sich die Struktur unter bestimmten Bedingungen durch Anlagerung von Lösungsmittelmolekülen „einfrieren“ lässt – ein Prozess, der Mikrosolvatation heißt.
Zu diesem Zweck umgaben die Chemiker das CH5+-Molekül virtuell mit einigen wenigen Wasserstoffmolekülen (H2). Dabei lagert sich an jedes Ion eine relativ fest gebundene Hülle aus Wassermolekülen an, um anschließend einzelne Ionen mit einigen daran gebundenen Lösungsmittelmolekülen in die Gasphase zu transferieren. Um die CH5+-Wasserstoff-Komplexe zu beschreiben, reichen klassische ab initio-Molekulardynamik-Simulationen nicht aus, denn das hydrogen scrambling beruht auf Quanteneffekten. Daher nutzten die Forscher eine selbst entwickelte, quantenmechanische Methode, die ab initio-Pfadintegralsimulationen. Mit ihr lassen sich die essenziellen Quanteneffekte abhängig von der Temperatur in die Rechnung einbeziehen.
Die Wissenschaftler führten die Simulationen für eine Temperatur von 20 Kelvin durch. In nicht gelöster Form tauschen die Wasserstoffatome im CH5+-Molekül auch bei so niedrigen Temperaturen permanent ihre Positionen – und zwar ausschließlich aufgrund quantenmechanischer Effekte. Wenn CH5+ von Wasserstoff umgeben ist, wird das hydrogen scrambling jedoch stark beeinflusst und kann sogar ganz zum Erliegen kommen: Das Molekül nimmt eine rudimentäre Struktur an. Wie genau diese aussieht, hängt davon ab, wie viele Wasserstoffmoleküle sich an ein CH5+-Molekül anlagern. „Mich interessiert nun besonders, ob superflüssiges Helium – ähnlich wie hier der Wasserstoff – auch die Wanderung der Wasserstoffe im CH5+ stoppen kann“, sagt Marx. Mit superflüssigem Helium lassen sich hochaufgelöste Spektren von darin eingelagerten Molekülen messen. In der superflüssigen Phase sind die Heliumatome allerdings aufgrund quantenstatistischer Effekte nicht unterscheidbar. Diesem Phänomen versuchen die Chemiker an der Universität Bochum nun mit einer eigens entwickelten, aufwändigen pfadintegralbasierten Simulationsmethode auf den Grund zu gehen.
RUB / AH
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