24.09.2013

Das Rätsel um Bruno Pontecorvo

Bruno Pontecorvo (1913 – 1993) zählt zu den wichtigsten Pionieren der Neutrinophysik. Im Jahr 1950 erregte er durch sein zunächst spurloses Verschwinden großes Aufsehen.

Um ihn rankt sich noch heute ein Geheimnis: Der vor hundert Jahren geborene italienische Physiker Bruno Pontecorvo verschwand 1950 mitsamt seiner Familie spurlos von der Bildfläche. Erst fünf Jahre später tauchte er in der Sowjetunion wieder auf. Am 24. September 1993 starb er in Dubna, wo er seit seiner Flucht am Kernforschungsinstitut geforscht hatte. In der Sowjetunion war der überzeugte Kommunist Pontecorvo hoch angesehen, doch er blieb Zeit seines Lebens in der internationalen Forscher-Community auf gewisse Weise stigmatisiert.

Der italienische Wissenschaftshistoriker Simone Turchetti beleuchtet im Oktober-Heft des Physik Journals Pontecorvos wechselvolle Karriere und die Hintergründe seiner überstürzten Flucht in der Zeit des Kalten Krieges. Mittlerweile freigegebene Dokumente werfen auch neues Licht auf die ungeklärten ersten fünf Jahre Pontecorvos in der Sowjetunion.

Bruno Pontecorvo im Jahr 1955, als er nach fünf Jahren in der Sowjetunion wieder auftauchte (Foto: Wikipedia)


Die wissenschaftliche Karriere Pontecorvos begann 1928 mit einem Ingenieursstudium in seiner Geburtsstadt. 1930 entschloss er sich aber, nach Rom zu ziehen, um dort Physik zu studieren, nicht zuletzt bei dem dort sehr erfolgreichen Enrico Fermi. Zusammen mit anderen ehrgeizigen Jungwissenschaftlern wurde Pontecorvo Mitglied in Fermis Arbeitsgruppe, der es unter anderem gelang, neue radioaktive Substanzen durch Beschuss mit Neutronen zu erzeugen. Pontecorvo leistete wichtige Beiträge zur Moderation von Neutronen, die entscheidend für die technische Nutzung der Kernenergie war.

Der Faschismus in Italien brachte Pontecorvo Ende der 1930er-Jahre um die Möglichkeit, weiter in Rom arbeiten zu können, so dass er schließlich mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA floh, wo er sich zunächst mit der Ölsuche mittels Neutronenstrahlen befasste. 1943 wurde er für das anglo-kanadische Projekt mit dem Codenamen „Tube Alloys“ (Rohrlegierungen) angeworben, das parallel zum bekannteren Manhattan-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe lief. Pontecorvo war für die Entwicklung eines mit schwerem Wasser moderierten Kernreaktors verantwortlich, der in dem neuen kanadischen Labor in Chalk River entstehen sollte.

In dieser Zeit begann er sich auch mit Fragen der Teilchenphysik zu beschäftigen, insbesondere zu den Eigenschaften und dem Nachweis von Neutrinos. Der Astroteilchenphysiker Christian Spiering, der in den 1970er-Jahren in Dubna geforscht hat, erzählt im Interview von seinen Begegnungen mit Pontecorvo, den er als humorvollen und unkonventionellen Menschen erlebte und im Rückblick als originellen Forscher würdigt. „In der Neutrinophysik fußt unglaublich viel auf seinen Ideen“, sagt Spiering, „Drei davon waren sicher nobelpreiswürdig.“ Dies seien die Chlor-Argon-Methode, mit der es Ray Davis später gelang, die Sonnenneutrinos nachzuweisen, wichtige Vorüberlegungen zur Entdeckung des Myon-Neutrinos und die Idee der Neutrino-Oszillationen.

Physik Journal / Alexander Pawlak

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