03.11.2005

Das Schwanken der Brücke

Warum schwankt die Millennium-Brücke in London? Forscher lüften das Geheimnis.


Das Schwanken der Brücke

Warum schwankt die Millennium-Brücke in London? Forscher lüften das Geheimnis.

Ithaca (USA) - Mit großem Stolz weihte London im Juni 2000 seine Millennium-Brücke ein. Doch schon nach drei Tagen verursachten die Fußgänger bei ihrem Weg über die Themse von der St. Pauls Kathedrale zum Tate Modern Museum so große Schwingungen, dass das futuristische Bauwerk gesperrt wurde. Erst im Februar 2002 wurde die von Sir Norman Foster mitgestaltete Konstruktion wieder eröffnet, nachdem 91 zusätzliche Stoßdämpfer eingebaut wurden. Amerikanische Wissenschaftler gingen nun den beunruhigenden Schwingungen auf den Grund. Das sich hoch schaukelnde Wechselspiel aus den Quer-Bewegungen der Brücke und dem Gleichschritt der Passanten erklären sie in der Fachzeitschrift "Nature":

"In unserem Ansatz sind Schwankungen und der synchronisierte Gleichschritt nicht voneinander zu trennen", berichten Steven Strogatz und seine Kollegen von der Cornell University in Ithaca. Zwar war schon bekannt, dass der Gleichschritt der Passanten für die spürbaren Querschwingungen des Bauwerks verantwortlich war. Nun ermittelten sie aber, dass ab einer bestimmten Anzahl von Fußgängern wie von selbst eine gefährliche Synchronisation der Schritte auftritt. Der Effekt tritt schon bei etwa 160 Personen auf. Am Eröffnungstag waren es zur gleichen Zeit rund 2000. Für diese Analysen gingen sie von einer einfachen Bewegungsgleichung für einen angeregten und gedämpften Oszillator aus. Die Auslenkungen der Brücke bewegten sich dabei - in Übereinstimmung mit der Praxis - zwischen fünf und sieben Zentimetern. Fatalerweise werde zusätzlich der Gleichschritt-Effekt durch das Schwanken der Brücke selbst verstärkt, wenn nicht sogar eingeleitet.

"Das Schwanken und die Synchronisation treten simultan auf", so Strogatz. So müsse bei solchen Brücken nicht nur die Statik, sondern auch das Verhalten von Menschen mit berücksichtigt werden. "Es ist ein "Henne oder Ei"-Problem", sagt Strogatz. Ausgehend von Modellen für die kollektive Synchronisation von biologischen Oszillatoren erkannten sie, dass Organismen - hier die Fußgänger - von den Schwankungen selbst quasi zum Gleichschritt gezwungen werden. Eine natürliche Reaktion auf einen äußeren Reiz, der vergleichbar auch bei der Synchronisation von Nervenzellen auftreten kann.

Für diese Erkenntnisse nutzten die Wissenschaftler Daten aus einem Experiment an der Millennium-Brücke im Dezember 2000. Hunderte von Fußgängern wurden hier kontrolliert auf das labile Bauwerk geschickt. Bis zu einer bestimmten Anzahl von Personen passierte überhaupt nichts. Doch ab einer relativ festen Personenzahl traten Schwingungen und der Gleichschritt der Passanten simultan auf. Die synchronen Schritte und die Schwingungen beeinflussten sich gegenseitig und die Bewegungen der Brücke wurden kontinuierlich verstärkt. Wäre den britischen Ingenieuren dies vorher bekannt gewesen, hätten sie die 91 Stoßdämpfer direkt mit einplanen können. Die nachträglichen Bauten verschlangen fünf Millionen Pfund und dauerten rund 18 Monate. "Unser Ansatz sollte Ingenieuren helfen, solche Bauten mit Dämpfern besser gegen die synchronen Anregungen von Fußgängern zu stabilisieren", so Strogatz. "Aber ich bin kein Bauingenieur. Ich weiß nichts über Brücken. Unser Beitrag ist die Analyse des Gruppenverhaltens."

Jan Oliver Löfken

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • Kuramoto, Y., Chemical Oscillations, Waves and Turbulence (Springer-Verlag, Berlin, 1984). 
  • Strogatz, S. H., Physica D 143, 1–20 (2000). 
  • Guckenheimer, J. & Holmes, P., Nonlinear Oscillations, Dynamical Systems, and Bifurcations of Vector Fields (Springer-Verlag, New York, 1983). 
  • Dallard, P. et al. J. Bridge Eng. 6(6), 412–417 (2001). 
  • Dallard, P. et al. Structural Engineer 79(22), 17–33 (2001).

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