22.05.2018

Das ungleichförmige Schwerefeld der Erde

Satellitenmission GRACE Follow-On vor dem Start.

Mit der deutsch-amerikanischen Satellitenmission GRACE-FO – Gravity Recovery And Climate Experi­ment Follow On – geht die Mission zur Ver­mes­sung des Erd­schwere­felds und dessen zeit­licher Ände­rung in die Ver­länge­rung. Von 2002 bis 2017 hatte die Vor­gänger­mission GRACE das Erd­schwere­feld extrem präzise kartiert. Die dabei gewonnenen Daten helfen beispiels­weise dabei, den Ver­lust von Eis­massen oder die Über­nutzung von Grund­wasser­vor­kommen zu doku­men­tieren. Nun wird diese wert­volle Mess­reihe fort­ge­setzt mit der Mission GRACE-FO, einem gemein­samen Vor­haben der US-Raum­fahrt­behörde NASA und des Deutschen Geo­forschungs­zentrums GFZ, das die deutschen Beiträge leitet. Der Start der beiden von Airbus gebauten Satel­liten ist nach mehreren Ver­zöge­rungen für die Nacht vom 22. Auf den 23. Mai an Bord einer Falcon-9-Rakete von SpaceX von der Vanden­berg Air Force Base in Kali­­fornien aus geplant. „Dank verbes­serter Hard- und Soft­ware werden die erhobenen Daten noch genauer sein“, sagt Rein­hard Hüttl, Wissen­schaft­licher Vorstand des GFZ. „Sie ermög­lichen damit, die dyna­mischen Prozesse im System Erde noch besser zu beschreiben und zu ver­stehen.“

Bild: Künstlerische Dar­stel­lung des Satel­liten­tandems GRACE-FO. (Bild: NASA / Caltech)

Grundlage der Forschungen ist der Umstand, dass die Massen­ver­tei­lung im Erd­körper und auf der Ober­fläche unseres Planeten nicht über­all gleich ist. Im Erd­inneren bewegen sich glut­flüssige Gesteins­massen, Wasser­massen fließen in den Ozeanen und auf den Konti­nenten, und auch die Luft­massen sind in stetiger Bewe­gung. Da die Anzie­hungs­kraft eines Körpers von seiner Masse abhängt, hat die ungleiche Massen­ver­teilung unseres Planeten ein ungleich­förmiges Feld der Gravi­ta­tion zur Folge.

Die in einem Abstand von etwa 220 Kilometern hinter­ein­ander fliegen­den Satel­liten der Mission GRACE-FO werden daher, zeit­lich etwas ver­setzt, mal stärker und mal schwächer ange­zogen – je nach­dem, wie viel Masse sich unter ihnen befindet. Das führt zu einer kleinen Ände­rung des Satel­liten­abstandes, der dank eines präzisen Mikro­wellen­ver­fahrens bis auf einige Tausend­stel Milli­meter genau bestimmt wird. Als Ergeb­nis können damit auch geringe Massen­unter­schiede im System Erde erfasst werden. Da die beiden Satel­liten kontinu­ier­lich die Erde um­kreisen, können sowohl ört­liche als auch zeit­liche Ände­rungen des Schwere­felds doku­men­tiert werden.

„Primäres Missionsziel ist die Erstellung globaler monatlicher Schwere­feld­karten. Mit Hilfe dieser Daten können ver­schie­dene Ver­ände­rungen im System Erde rekon­stru­iert werden“, erläutert Frank Flechtner, leitender Wissen­schaftler der Mission vom GFZ. So habe die Vor­gänger­mission GRACE gezeigt, dass der Eis­massen­ver­lust in Grön­land zwischen 2002 und 2016 rund 270 Milli­arden Tonnen pro Jahr betrug, gut 20 Milli­arden Tonnen mehr als zuvor ange­nommen. „GRACE-FO wird die Ent­wick­lung in Grön­land, aber auch in der Ant­arktis und anderen Eis­regionen, weiter­hin ver­folgen und aktu­elle Daten liefern.“

Überdies kann die Mission Veränderungen der Grund­wasser­stände in großen Becken erfassen – ohne, dass Messungen vor Ort erforder­lich sind. Dazu gehören sowohl Ver­luste, wie sie jüngst in Kali­fornien oder im Nahen Osten beob­achtet wurden, als auch zuneh­mende Wasser­massen im Unter­grund. Dieser Fall ist für die Wissen­schaftler ebenso spannend, denn ein gut gefüllter Grund­wasser­leiter hat zur Folge, dass nach ergie­bigen Regen­fällen weniger Wasser ver­sickert und damit die Über­flutungs­gefahr steigt. GRACE-FO soll helfen, diese Bedrohung früh­zeitig zu erkennen.

Die Messdaten sind auch für den marinen Bereich wichtig. Dort dienen sie etwa dazu, den Meeres­spiegel­anstieg zu erforschen. Anhand von Schwere­feld­daten lässt sich ermit­teln, wie groß der Anteil von zusätz­lichem Wasser – beispiels­weise von schmel­zenden Gletschern – an den steigen­den Pegeln ist und welcher Anteil auf die wärme­bedingte Aus­deh­nung des vor­han­denen Meer­wassers zurück­zu­führen ist. Weiter­hin werden die Daten von GRACE-FO heran­gezogen, um Ozean­strömungen zu erforschen.

Ein weiteres Ziel ist die Messung von Zustands­para­metern der Atmo­sphäre mit Hilfe der GPS-Radio­okkulta­tion. Die Methode basiert auf dem Umstand, dass die von GRACE-FO empfan­genen Funk­signale hinter der Erde ver­schwin­dender GPS-Satel­liten infolge tempe­ratur- und feuchte­bedingter Dichte­ände­rungen der Atmo­sphäre unter­schied­lich stark gebrochen werden. Diese Ände­rungen lassen sich aus den GPS-Signalen, die an Bord der Satel­liten auf­ge­zeichnet werden, rekon­stru­ieren. Die Atmo­sphären­messungen von GRACE-FO werden vom GFZ mit einer Ver­zöge­rung von etwa zwei Stunden an ver­schie­dene inter­nationale Wetter­zentren geliefert, um deren tägliche Vorher­sagen zu ver­bessern.

Darüber hinaus tragen die Satelliten als Technologie­demon­strator ein neues laser­basiertes System zur Ent­fernungs­messung, das am MPI für Gravi­ta­tions­physik in Hannover zusammen mit dem Jet Propul­sion Labora­tory entwickelt wurde. Dieses kann die Distanz zwischen den zwei Raum­fahr­zeugen noch genauer bestimmen als bisher: bis auf achtzig Nano­meter. Eine deut­lich ver­bes­serte Abstands­messung zwischen den beiden Satel­liten bedeutet, dass auch die erhobenen Schwere­feld­daten noch­mals genauer sind.

Nach einem erfolgreichen Start werden die Raumfahrzeuge zunächst im Orbit schritt­weise in Betrieb genommen und für den dauer­haften Ein­satz vor­be­reitet. Für den Sommer rechnen die betei­ligten Forscher mit den ersten wissen­schaft­lichen Daten. Die Mission ist geplant für eine Dauer von zunächst fünf Jahren, eine Ver­länge­rung ist möglich.

GFZ / RK

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