Dekohärenz ausgebremst
Vielteilchensysteme zeigen eine Abnahme der Überlagerung nach einem Potenzgesetz und nicht exponentiell.
Im Gegensatz zu klassischen Systemen können quantenmechanische Systeme Überlagerungszustände besitzen. „Damit steht dem System eine viel größere Menge von möglichen Zuständen zur Verfügung. Es ist wesentlich komplexer und schwieriger zu beschreiben, bietet aber auch mehr Möglichkeiten für technische Anwendungen“, erklärt Thomas Barthel von der Uni München. Allerdings gibt es bei der Nutzung von Quanteneffekten eine Schwierigkeit: Wenn ein quantenmechanisches System nicht komplett abgeschirmt ist, sondern in Wechselwirkung mit seiner Umwelt tritt, werden seine quantenmechanischen Eigenschaften zerstört.
Abb.: Eine Quanten-Spin-Kette koppelt uniform an die Umgebung. (Bild: Z. Cai, T. Barthel, LMU)
In dem Moment, in dem ein Quantensystem gemessen wird, entscheidet sich das System für einen Zustand, sodass die Überlagerung irreversibel verschwindet. Diese Dekohärenz ist der Feind jedes Experimentators, der die quantenmechanischen Eigenschaften eines Systems untersuchen oder für technische Zwecke ausnutzen möchte. Typischerweise erfolgt der Zerfall der quantenmechanischen Eigenschaften exponentiell mit der Zeit. In ihrer neuen Studie haben Barthel und sein Kollege Zi Cai nun untersucht, was passiert, wenn sie nicht die typischen einfachen Quantensysteme – etwa ein einzelnes Elektron oder Ion – untersuchen, sondern Vielteilchensysteme mit sehr großer Teilchenzahl, wie Elektronen in einem Festkörper.
„Dabei haben wir entdeckt, dass sich das Zerfallsgesetz der Quanteninformation qualitativ ändern kann“, erklärt Barthel: Besteht das Quantensystem aus sehr vielen Teilchen, die untereinander wechselwirken, kann die Zerfallszeit gegen unendlich gehen. In diesem Fall folgt der Zerfall einem Potenzgesetz – und ist damit sehr viel langsamer als in einfachen Systemen.
Damit haben die Wissenschaftler einen bisher unbekannten fundamentalen Effekt entdeckt, der für zukünftige Experimente und technische Anwendungen von großer Bedeutung ist. „Mit unserer Studie liefern wir das Handwerkszeug, um die Dekohärenz in Quantenvielteilchensystemen tunen zu können – dies ist insbesondere für das Feld der Quanteninformationsverarbeitung ein wichtiger Fortschritt“, betont Barthel. Unter anderem könnte man den neu entdeckten Effekt bei der Realisierung von Quantencomputern und bei der Simulation von Quantensystemen mithilfe anderer gut kontrollierbarer Quantensysteme
ausnutzen.
LMU / DE