Den Superkräften von Superlegierungen auf der Spur
Werkstoffwissenschaftler bauen Turbinenwerkstoff Atom für Atom im Computer nach.
Superlegierungen – metallische Werkstoffe, die aus Nickel und Aluminium sowie verschiedenen weiteren Elementen wie Rhenium zusammengesetzt sind – sind für die Herstellung von Turbinenschaufeln, etwa in einem Flugzeugtriebwerk, unverzichtbar. Sie sorgen dafür, dass die Turbinen auch bei höchsten Temperaturen bis nahe an ihrem Schmelzpunkt stabil bleiben – bei den immensen Belastungen durch Fliehkräfte ein Muss. Werkstoffwissenschaftler arbeiten daher permanent daran, diese Superlegierungen weiter zu verbessern. Forschern der FAU um Erik Bitzek ist es nun erstmals gelungen, die atomare Struktur einer Nickelbasis-Superlegierung so exakt im Computer nachzubauen, dass Simulationen tatsächlich die Verformungsprozesse in der realen Materialstruktur wiedergeben und erklären können. Bislang konnten Forscher immer nur mit idealisierten Strukturen im Computer arbeiten.
Video der Simulation (Animation: A. Prakash et al.)
Die Erlanger Wissenschaftler können jetzt detailgetreu simulieren, wie sich bestimmte, linienhafte Kristalldefekte in der Nickelbasis-Superlegierung bewegen, wenn Kräfte auf die Turbinenschaufel einwirken, und so für die Verformung des Materials sorgen.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben Bitzek und sein Team zunächst Daten genutzt, die ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung mit Hilfe einer Atomsondenmessung ermittelt haben: Diese liefert 3D-Informationen über den atomaren Aufbau der Legierung, kann allerdings lediglich rund zwei Drittel der vorhandenen Atome lokalisieren. Jedoch konnten die Forscher aus den so gewonnenen Daten mit einer neu am Lehrstuhl entwickelten Software namens nanoSCULPT atomare Modelle erzeugen, die nicht nur die exakte Beschaffenheit der so genannten Ausscheidungen – Teilchen mit anderer Kristallstruktur und Zusammensetzung, die in den Kristall eingebettet sind – wiedergeben, sondern auch, wie die Nickel- und Aluminiumatome innerhalb der Legierung verteilt sind.
So gelang es den Werkstoffwissenschaftlern, die im Experiment um die Ausscheidungen herum entstehenden Netzwerke von Versetzungen richtig abzubilden und die speziellen Versetzungsstrukturen, die zuvor ihre Forscherkollegen um Erdmann Spiecker im hochauflösenden Transmissionselektronenmikroskop beobachtet hatten, wirklichkeitsgetreu zu reproduzieren. Im nächsten Schritt simulierten Bitzek und sein Team auf den Höchstleistungsrechnern der Uni Erlangen-Nürnberg Zugversuche an diesen aus über 14 Millionen Atomen bestehenden Mikrostrukturen. Dabei zeigte sich erstmals detailliert auf atomarer Skala, wie die Ausscheidungen und das sie umgebende Versetzungsnetzwerk die Bewegung von Versetzungen behindern und so die Festigkeit des Materials erhöhen.
Abb.: Atomsondendaten zeigen, wo sich welche Atome innerhalb der Nickelbasis-Superlegierung befinden. (Bild: J. J. Möller, S. Neumeier, A. Prakash, E. Bitzek / FAU)
Diese Erkenntnisse können nun verwendet werden, um Superlegierungen weiterzuentwickeln, damit sie noch höheren Temperaturen standhalten können und so den Treibstoffverbrauch – und in der Folge den CO2-Ausstoß – von Triebwerken senken. Insgesamt neun Arbeitsgruppen der Erlanger Werkstoffwissenschaftler arbeiten an diesem Ziel gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum und weiteren Forschungseinrichtungen innerhalb des Sonderforschungsbereichs Transregio 103 „Vom Atom zur Turbinenschaufel“, der, wie kürzlich bekannt gegeben wurde, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für weitere vier Jahre mit 15 Millionen Euro gefördert wird.
FAU / OD