22.06.2015

Der Planetenentstehung auf der Spur

Neues Plasmakristall-Labor auf der ISS in Betrieb.

Forschen in der Schwerelosigkeit – die Internationale Raumstation ISS bietet dazu einzigartige Gelegenheit. Im Columbus-Modul wurde nun ihre neueste Forschungseinheit in den wissenschaftlichen Betrieb genommen: das Plasmakristall-Labor PK-4. Die Forschungsgruppe Komplexe Plasmen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die Funktionsfähigkeit der Laboreinheit getestet und bestätigt. Bei der Vorbereitung der künftigen Experimente konnte das Team außerdem erste wissenschaftliche Daten gewinnen.

Abb.: Kosmonaut Gennady Padalka führt erste Tests mit dem neuen Plasmakristall-Labor PK-4 im Columbus-Modul der ISS durch. (Bild:DLR)

„Nach über einem Jahrzehnt von Planung, Design, Fertigung und Qualifikation haben wir es jetzt endlich geschafft die wissenschaftliche Phase zu starten. Wir sind hier dem gesamten Entwicklungsteam am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und von OHB-München sehr dankbar. Gemeinsam haben wir hier ein großartiges Labor auf Columbus zustande gebracht, das uns hoffentlich über viele Jahre exzellente Wissenschaft ermöglicht“, so Dr. Hubertus Thomas, Leiter der DLR-Forschungsgruppe Komplexe Plasmen.

Das PK-4 Labor ist vollständig betriebstüchtig – zur doppelten Freude der Forscher. Denn die Gruppe hat nicht nur die wissenschaftliche Leitung für die Experimente (gemeinsam mit einem russischen Partnerinstitut), sondern hat die Apparatur auch selbst entwickelt. Die ersten Tests mit dem Labor nutzten Thomas und seine Kollegen daher für Referenzmessungen. Die Messungen helfen den Forschern die Apparatur unter den besonderen Bedingungen der Schwerelosigkeit besser zu verstehen. Auch den Ablauf der Experimente wollen sie anhand der Vergleichsdaten weiter automatisieren. Unterstützung erhielten sie vom russischen Kosmonauten Gennady Padalka an Bord der ISS.

Der Mann vor Ort hatte die heikle Aufgabe, die Messung im richtigen Augenblick zu aktivieren. Das Kommando der Wissenschaftler im Kontrollzentrum käme nicht rechtzeitig im Labor an. Die Datenübertragung zwischen Raumstation und Erde ist um mindestens fünf Sekunden verzögert. Padalka musste also als Experimentator einspringen. Dabei bewies er geschicktes Timing – ohne Mühe fing er die flinken Partikel im Plasma ein. Denn glücklicherweise hatte er schon an den beiden vorangegangen Plasmaforschungslaboren auf der ISS gearbeitet. Die Erfahrung des Russen zahlte sich aus, zur vollen Zufriedenheit der Wissenschaftler.

Die spektakulären Bilder der Plasmaversuche zog auch die Aufmerksamkeit der anderen anwesenden Kosmonauten und Astronauten im Columbus-Modul auf sich. Einen Moment lang versammelten sie sich rund um den Videomonitor von PK-4 und sahen zu, wie sich eine ruhige Partikelwolke plötzlich in eine Scherströmung verwandelte. Ein Effekt der entstand, wenn Padalka (mit Hilfe aus dem Kontrollzentrum) für die Messungen einen starken Laserstrahl in das flüssige komplexe Plasma lenkte.

Abb.: Durch Laserstrahl hervorgerufene Scherströmung im komplexen Plasma an Bord der ISS. (Bild: DLR)

Mit dem Plasmakristall-Labor lässt sich in der Schwerelosigkeit die Bewegung einzelner Teilchen beobachten. Physikalische Prozesse, die normalerweise auf Atom- oder Molekülebene ablaufen, werden sichtbar – und können gezielt untersucht werden. Die nächsten PK-4 Experimente sollen unter anderem Teilchenladungen und Ionenreibungskräfte bestimmen. Diese Größen sind grundlegend für das Verständnis der Experimente auf der Raumstation.

Mit PK-4 betreibt die DLR-Forschungsgruppe Komplexe Plasmen zum dritten Mal ein Labor auf der ISS. Ganz neu ist der Einsatz einer virtuellen „Tele Science“-Einheit. Das System ist identisch zu der Apparatur an Bord der ISS und virtuell damit verbunden. Bisher konnten Thomas und sein Team die Experimente nur am Videobildschirm mit verfolgen und mussten den Experimentator vor Ort per Audiokontakt anleiten. Jetzt können sie mit eigenen Augen beobachten, was im „echten“ Labor gerade passiert – und den Ablauf bei Bedarf ändern. Unter Berücksichtigung der verzögerten Datenübertragung können die Wissenschaftler ihre Experimente erstmals spontan an eine Situation anpassen. Das Plasmakristall-Labor soll nun für mindestens vier Jahre auf der ISS betrieben werden. Nach den erfolgreichen Vorbereitungen plant die DLR-Forschungsgruppe auch schon die nächste Etappe: den Start der wissenschaftlichen Experimente. Im Herbst soll es losgehen.

Die erwarteten Resultate – vor allem zu „flüssigen“ Zuständen komplexer Plasmen auf atomarer Ebene – sind zunächst für das detaillierte Verständnis komplexer Plasmen selbst wichtig. Für die Physik kondensierter Materie und die Fluidphysik dienen komplexe Plasmen als Modellsysteme. Auch für die Industrie ist die PK-4-Forschung interessant. So könnten die Ergebnisse die Chipherstellung oder die Technik in Fusionsreaktoren verbessern. Darüber hinaus sind wertvolle Erkenntnisse für astrophysikalische Fragestellungen – wie etwa bei der Staubanreicherung im Zuge der Planetenentstehung – zu erwarten.

DLR / LK

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