Der Vorteil von Randzuständen
Robuste Quanten-Hall-Zustände und ihr Mehrwert für Quantencomputer.
Ensembles von Elektronen, die sich an den Rändern ultradünner Leiter versammeln, widerstehen Störungen wie Biegen, Dehnen, äußeren Magnetfeldern und Fehlstellen, die in herkömmlichen Leitern die Bewegung von Elektronen behindern. Solche Quanten-Hall-Randzustände behalten unter all diesen Störungen ihre Eigenschaften. Ihre Widerstandsfähigkeit hat ungewöhnliche und erstaunliche physikalische Konsequenzen. Zum Beispiel erklären diese Zustände, warum die inneren Atomschichten mancher Materialien im Inneren Isolatoren sind, während ihre Ränder exzellente Leiter sind.
Eine wichtige Frage ist, ob sich die Widerstandskraft der Quanten-Hall-Randzustände zum Bau von Quantenbits nutzen lässt. Obwohl Quantenbits viel mehr Informationen als klassische Bits beinhalten, können ihre Quanteneigenschaften leicht gestört werden, was die enthaltene Information vernichtet. Quanten-Hall-Randzustände könnten eine stabile Alternative bilden.
Jedoch konnten Quanten-Hall-Randzustände bislang nicht abgebildet werden, obwohl sie zum Ohm’schen Widerstand des Materials beitragen, also zu einer makroskopisch messbaren Größe. Jetzt ist das einem internationalen Forscherteam erstmals gelungen: Die Wissenschaftler konnten Bilder der Quanten-Hall-Randzustände aufnehmen und ihre Struktur und Größe vermessen.
Das Team untersuchte die Quanten-Hall-Randzustände von Graphen – einer atomar dünnen Lage von Kohlenstoffatomen in der bekannten Bienenwaben-Struktur. Graphen ist von besonderem Interesse, weil es ein neues und robustes Standardmaß für den elektrischen Widerstand ermöglicht. Wenn es auf wenige Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt gekühlt und einem starken Magnetfeld ausgesetzt wird, zeigt Graphen den Quanten-Hall-Effekt.
Der Quanten-Hall-Effekt zeigt sich in einer Quantisierung der Hall-Spannung, einer Spannung quer zur Stromrichtung einer Probe, die von einem Magnetfeld durchsetzt wird. Teilt man diese Hall-Spannung durch die Stromstärke und trägt man dieses Verhältnis als Funktion der magnetischen Feldstärke auf, so erhält man den quantisierten, in Stufen verlaufenden Quanten-Hall-Widerstand, der mit einer Präzision von eins zu einer Milliarde gemessen werden kann und lediglich auf zwei Naturkonstanten beruht: auf der Elementarladung des Elektrons und dem Planck’schen Wirkungsquantum.
Die Randströme verraten sich durch ihr elektrisches Feld, das von der empfindlichen Abtastspitze eines Rasterkraftmikroskops nachgewiesen wurde. Das Team vermaß die Energien dieser Randzustände und ihre räumliche Ausdehnung von lediglich zehn Nanometern.
Um den Quanten-Hall-Effekt im Graphen besser verstehen zu können, benutzten die Forscher ein speziell entwickeltes Kombiinstrument, das Rastertunnelmikroskop, Rasterkraftmikroskop und ein Gerät zur Messung der Stromleitungseigenschaften in Abhängigkeit der magnetischen Feldstärke vereint. Dieses „Three-in-One-Gerät“ ist für das Studium von Quantenmaterialien wie Graphen von entscheidender Wichtigkeit. Für viele gewöhnliche Materialien kann man Quanteneffekte auf makroskopischem Maßstab vernachlässigen. In Quantenmaterialien dagegen bestehen starke Quanteneffekte auch auf einer Skala von Millimetern oder mehr. Diese Effekte führen zu bemerkenswerten Eigenschaften, wie den Quanten-Hall-Randzuständen, die für neue Technologien nutzbar gemacht werden können, aber mit einer Fülle von Instrumenten studiert werden müssen.
Das Team untersucht weiter, wie die Energiewerte und örtlichen Verteilungen der Quanten-Hall-Randzustände den theoretischen Vorhersagen entsprechen. Es ist geplant, Quanten-Hall-Widerstände aus zwei gegeneinander verdrehten Graphenlagen zu untersuchen. „Die rotierten Schichten könnten neuartige Randzustände mit bislang unbekannten Eigenschaften zeigen. Sie könnten neue Forschungsgebiete mit möglichen Anwendungen in der Quantenkommunikation etablieren“, erklärt der Leiter der Studie Joseph Stroscio vom National Institute for Standards and Technology in den USA.
U. Regensburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Kim et al.: Edge channels of broken-symmetry quantum Hall states in graphene visualized by atomic force microscopy, Nat. Commun. 12, 2852 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-22886-7 - Physical Measurement Laboratory, National Institute for Standards and Technology, Gaithersburg, USA