Doppelstern als Teilchenbeschleuniger
Neue Quelle für sehr energiereiche kosmische Gammastrahlung nachgewiesen.
Mit einem Spezialteleskop in Namibia hat ein internationales Forscherteam einen besonderen Doppelstern als neue Quelle für sehr energiereiche kosmische Gammastrahlung nachgewiesen: Eta Carinae liegt 7500 Lichtjahre entfernt im Sternbild Schiffskiel (Carina) am Südhimmel und erzeugt den Messungen zufolge Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400 Gigaelektronenvolt (GeV). Das Team um Stefan Ohm, Eva Leser und Matthias Füßling vom Desy nutzte für seine Beobachtungen das Gammastrahlenobservatorium High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.).
Eta Carinae besteht aus zwei blauen Riesensonnen: Die eine hat die rund hundertfache Masse unserer Sonne, die andere etwa die dreißigfache. Beide umkreisen sich alle 5,5 Jahre auf stark elliptischen Bahnen. Ihr Abstand schwankt dabei in etwa zwischen der Entfernung von Sonne zu Mars und Sonne zu Uranus. Beide Riesensterne schleudern dichte, überschallschnelle Sternwinde aus geladenen Teilchen ins All. Der größere der beiden verliert dabei in nur rund 5000 Jahren soviel Masse, wie unsere Sonne insgesamt besitzt. Der kleinere treibt einen schnellen Sternenwind mit etwa elf Millionen Kilometern pro Stunde an. Dort, wo die beiden Sternwinde aufeinandertreffen, entsteht eine gewaltige Schockfront, in der das Windmaterial extrem aufgeheizt wird.
Bei rund 50 Millionen Grad Celsius leuchtet es hell im Röntgenlicht. Für die Emission von Gammastrahlung sind die Windteilchen allerdings nicht heiß genug. „Derartige Schockregionen sind jedoch typische Orte für die Beschleunigung subatomarer Teilchen durch die starken elektromagnetischen Felder, die dort herrschen“, erläutert Ohm, Leiter der H.E.S.S.-Gruppe. Solche stark beschleunigten Teilchen können auch Gammastrahlung aussenden. Tatsächlich haben die Satelliten „Fermi“ der US-Raumfahrtbehörde Nasa und „Agile“ der italienischen Raumfahrtagentur Asi bereits 2009 energiereiche Gammastrahlung bis etwa zehn GeV von Eta Carinae nachgewiesen.
„Für die Produktion dieser Gammastrahlung gibt es verschiedene Modelle“, berichtet Füßling. „Sie kann von stark beschleunigten Elektronen stammen oder von energiereichen Atomkernen.“ Welches von beiden Szenarien zutrifft, ist von entscheidender Bedeutung: Energiereiche Atomkerne stellen die Hauptkomponente der kosmischen Strahlung, die permanent von allen Seiten auf die Erde einprasselt. Obwohl die Kosmische Strahlung bereits vor mehr als einhundert Jahren entdeckt wurde, sind die Quellen der energiereichen Atomkerne trotz intensiver Forschung noch immer nicht erschöpfend bekannt. Da sie elektrisch geladen sind, werden die Atomkerne auf ihrem Weg durch das Universum von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt. Ihre Ankunftsrichtung auf der Erde weist daher nicht mehr zu ihrem Ursprung zurück. Kosmische Gammastrahlung hingegen wird nicht abgelenkt. Wenn sich also nachweisen lässt, dass die Gammastrahlung von energiereichen Atomkernen stammt, wäre damit auch einer der gesuchten Beschleuniger der Kosmischen Teilchenstrahlung gefunden.
„Bei Eta Carinae haben es Elektronen besonders schwer, auf sehr hohe Energien beschleunigt zu werden, da sie während ihrer Beschleunigung gleichzeitig in Magnetfeldern abgelenkt werden und so wieder Energie verlieren“, sagt Leser. „Oberhalb von einhundert GeV beginnt der Bereich der sehr hochenergetischen Gammastrahlung, die sich nur noch schwer durch Elektronenbeschleunigung erklären lässt.“ Rund um die jüngste Begegnung der beiden Riesensterne konnte H.E.S.S. nun Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400 GeV nachweisen. Der Doppelstern ist damit das erste bekannte Beispiel für eine Quelle, bei der sehr energiereiche („very high energy“; VHE) Gammastrahlung durch kollidierende Sternwinde erzeugt wird.
„Die Analyse der von H.E.S.S. und den Satelliten gemessenen Gammastrahlung zeigt, dass sie sich am besten als Produkt hochbeschleunigter Atomkerne deuten lässt“, betont Doktorand Ruslan Konno, der zusammen mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg eine begleitende Studie veröffentlicht hat. „Damit wären die Schockregionen kollidierender Sternwinde auch ein neuer Typ natürlicher Teilchenbeschleuniger für die Kosmische Strahlung.“ Mit H.E.S.S., benannt nach dem Entdecker der Kosmischen Strahlung, Victor Franz Hess, und insbesondere mit dem Cherenkov Telescope Array (CTA), dem im chilenischen Hochland entstehenden Gammastrahlenobservatorium der nächsten Generation, hoffen die Forscher, dieses Phänomen genauer erforschen und weitere derartige Quellen entdecken zu können.
DESY / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
H.E.S.S. Collaboration, H. Abdalla et al.: Detection of very-high-energy γ-ray emission from the colliding wind binary η Car with H.E.S.S., Astron. & Astrophys. 635, A167 (2020); DOI: 10.1051/0004-6361/201936761 - H.E.S.S.-Teleskope, Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Hamburg