18.11.2022

Dünne Keramikschichten sind verblüffend stabil

Röntgenmessungen zeigen, dass dünne Schichten unter Belastung nicht ermüden.

Extrem dünne Beschichtungen aus Keramik können die Eigenschaften technischer Bauteile völlig verändern. Man verwendet sie zum Beispiel, um die Widerstands­kraft von Metallen gegen Hitze oder Korrosion zu erhöhen. Beschichtungs­verfahren spielen für große Turbinen­schaufeln genauso eine Rolle wie für extrem beanspruchte Werkzeuge in der Produktionstechnik. An der TU Wien untersuchte man nun, was die Widerstandskraft solcher Schichten ausmacht. Und die Ergebnisse, die unter anderem am Synchrotron Desy in Hamburg gewonnen wurden, sind überraschend: Die Keramik­schichten gehen auf völlig andere Weise kaputt als Metalle. Material­ermüdung spielt praktisch keine Rolle, entscheidend sind die Belastungs­spitzen. Diese Erkenntnis wird die Methode verändern, mit der man die Widerstands­kraft der Dünnschichten in Zukunft misst und weiter verbessert.

Abb.: Wiederholte Belastung führt normaler­weise irgendwann zu...
Abb.: Wiederholte Belastung führt normaler­weise irgendwann zu Material­versagen (o.). Bei speziellen Keramik­schichten hingegen ist das nicht der Fall. (Bild: TU Wien)

„Bei vielen Anwendungen sind periodische Belastungen ein großes Problem“, erklärt Helmut Riedl, Leiter der Oberflächen­technik-Gruppe am Institut für Werkstoff­wissenschaft und Werkstoff­technologie. „Wenn man Bauteile aus Metall immer und immer wieder einer bestimmten Kraft aussetzt, dann kommt es auf mikro­skopischer Skala zu Veränderungen.“ Manche Atome verschieben sich, es entstehen Schichten, die aneinander vorbeigleiten können, winzige Risse können sich bilden und am Ende zum Bruch des ganzen Bauteils führen. Solche Material­ermüdungs-Effekte sind in der Technik allgegenwärtig und gut untersucht. Weniger klar ist allerdings, was bei Belastung mit dünnen Schichten passiert, mit denen man die Bauteile überzieht. „Keramische Beschich­tungen sind oft nur wenige Nanometer bis zehn Mikrometer dick, sie verhalten sich völlig anders als ein solides Stück Keramik“, sagt Lukas Zauner, der in der Oberflächen­technik-Forschungs­gruppe an seiner Dissertation arbeitet.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, entwickelte man an der TU Wien ganz neue Messmethoden: Anstatt Metall und keramische Beschichtung gemeinsam zu testen, wie das normaler­weise geschieht, ließ man das Metall weg, produzierte extrem dünne Proben verschiedener keramischer Materialien, die typischerweise in der Dünnschicht­technik eingesetzt werden, und setzte sie auf exakt definierte Weise verschiedenen Belastungen aus – und zwar immer wieder, bis zu zehn Millionen mal. Um ganz genau herauszufinden, ob sich die atomare Struktur der Keramik dadurch verändert, fuhr das Team mit dem Versuchsaufbau nach Hamburg: Dort stehen am Desy extrem gut fokussierte Röntgenstrahlen zur Verfügung, mit denen man verschiedene Punkte der Probe während des Belastungs­experiments untersuchen kann. Selbst winzige Veränderungen in der Kristall­struktur oder im Abstand zwischen benachbarten Atomen würde sich auf diese Weise nachweisen lassen.

Doch erstaunlicher­weise zeigte sich bei diesen Messungen: Die Keramik verändert sich praktisch nicht. Auch Millionen Belastungs­zyklen führen nicht zu einer Materialermüdung. „Standard-Keramiken würden nach bestimmten Mustern ermüden, ähnlich wie man das auch von Metallen kennt. Aber diese extrem dünnen Schichten, die wir mit unserer Technik untersuchen können, zeigen dieses Verhalten nicht“, sagt Helmut Riedl. „Ihre Mikro­struktur ist am Ende dieselbe wie am Anfang.“ Das bedeutet, dass die Haltbarkeit der dünnen Schichten ausschließlich von ihrer Bruchfestigkeit bestimmt wird: Wenn man eine für das Material charakteristische Belastungs­grenze überschreitet, dann wird die Schicht zerstört – plötzlich und unumkehrbar. Alle Belastungen unterhalb dieser Grenze sind aber kein Problem, sie lassen die Keramik­schicht nicht altern, sie haben praktisch keinen Effekt.

„Das ändert natürlich auch die Strategie, mit der man nach neuen, verbesserten keramischen Schichten sucht“, sagt Helmut Riedl. „Man muss keine langwierigen Langzeit-Tests machen, es genügt, durch einen simplen Belastungs­test herauszufinden, welches Material bei welcher Kraft­einwirkung zu Bruch geht. Man muss sich keine Gedanken darüber machen, wie sich eventuell Ermüdungs­effekte im Material lindern lassen, man muss bloß Materialien mit möglichst hoher Bruchzähigkeit finden.“ Einen ausgezeichneten Kandidaten dafür konnte das Team auch gleich aufspüren: Eine bestimmte Form von Chromdiborid erwies sich bei den Tests als erstaunlich widerstands­kräftig. Das zeigt, in welcher Richtung weitere Forschung den größten Erfolg verspricht.

TU Wien / JOL

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