Dunkle Materie nicht völlig dunkel?
Möglicherweise beobachtet, wie die dominierende Masse im Universum außer über Gravitation mit sich selbst wechselwirkt.
Zum ersten Mal haben vielleicht Astronomen dunkle Materie dabei beobachtet, wie sie anders als nur über ihre Schwerkraft mit anderer Dunkler Materie in Wechselwirkung tritt. Ein Team hat mit dem MUSE-Instrument am VLT der ESO in Chile zusammen mit Hubble-Bildern aus dem Erdorbit die gleichzeitige Kollision von vier Galaxien im Galaxienhaufen Abell 3927 untersucht. So konnten die Wissenschaftler die Lage der Masse innerhalb des Systems bestimmen und die Verteilung der dunklen Materie mit den Positionen der hell leuchtenden Galaxien vergleichen. Die Verteilung der dunklen Materie konnte das Team aufgrund des Gravitationslinseneffekts abzuleiten. Die Kollision ereignete sich geradewegs vor einer fünften Hintergrundgalaxie, deren Abbild verzerrt ist: Die Masse der dunklen Materie um die wechselwirkenden Galaxien krümmt die Raumzeit und erzeugt charakteristische bogenförmige Strukturen.
Abb.: Diese Hubble-Aufnahme zeigt den Galaxienhaufen Abell 3827. Die seltsamen bläulichen Strukturen, die die zentralen Galaxien des Haufens umgeben, sind Gravitationslinsenabbilder einer weiter entfernten Hintergrundgalaxie. Die Verteilung der dunklen Materie ist mit blauen Konturen eingezeichnet. Der Klumpen, der zur Galaxie links gehört, hat sich gegenüber deren Position signifikant verschoben, was darauf hinweist, dass Wechselwirkungen bislang unbekannter Art der dunklen Materie mit sich selbst stattfinden könnten. (Bild: ESO / NASA / ESA / R. Massey)
Der Analyse zufolge bleibt ein Klumpen dunkler Materie hinter der Galaxie zurück, zu der er gehört. Sie liegt gegenwärtig 5000 Lichtjahre hinter der Galaxie. Solche Verzögerungen in der Bewegung und im Vergleich zur assoziierten Galaxie, sollten bei Kollisionen auftreten, wenn die dunkle Materie über andere Kräfte als die Gravitation mit sich selbst wechselwirkt, wenn auch sehr gering. Nie zuvor ist dies beobachtet worden. Richard Massey von der Universität Durham erklärt: „Wir dachten bislang immer, dass dunkle Materie einfach da ist und abgesehen von ihrer gravitativen Anziehung nichts tut. Aber wenn sie durch diese Kollision verlangsamt worden ist, könnte es der erste Hinweis für eine reichhaltige Physik im dunklen Sektor sein.”
Die Wissenschaftler merken allerdings an, dass weitere Studien zu anderen Effekten durchgeführt werden müssen, die ebenfalls die Ausbildung eines Abstands zwischen Galaxie und dazugehöriger Dunkler Materie bewirken könnten. Ähnliche Beobachtungen von weiteren Galaxien und Computersimulationen von Galaxienkollisionen wären sehr hilfreich. Teamitglied Liliya Williams von der Universität von Minnesota fügt hinzu: „Unsere Beobachtungen legen nahe, dass dunkle Materie auch anderen Kräfte als die Gravitation für Wechselwirkungen nutzen könnte. Wenn dem tatsächlich so wäre, könnten wir einige bedeutende Theorien ausschließen, die beschreiben, um was es sich bei dunkler Materie handeln könnte.“
Die neue Studie folgt dem vor kurzem veröffentlichten Artikel des Teams, in dem sie 72 Kollisionen zwischen Galaxienhaufen untersuchten, mit dem Ergebnis, dunkle Materie könne nur sehr wenig mit sich selbst wechselwirken. Die neue Studie beschäftigt sich jedoch mit den Bewegungen individueller Galaxien im Gegensatz zu ganzen Galaxienhaufen. Die Forscher gehen davon aus, dass die Kollision zwischen diesen Galaxien länger gedauert haben könnte als die Kollisionen, die man in der vorherigen Studie beobachtet hat – was den Effekt, den kleine Reibungskräfte ausüben, sich über längere Zeit aufbauen und so eine messbare Verzögerung schaffen lässt. Zusammengenommen grenzen die beiden Ergebnisse das Verhalten der dunklen Materie zum ersten Mal ein.
ESON / OD