Dynamik in Sonnenprotuberanzen
Hohe Geschwindigkeitsunterschiede zwischen geladenen Ionen und neutralen Atomen.
Protuberanzen schweben als riesige Wolken über der Sonne, gehalten von einem Stützgerüst aus magnetischen Kraftlinien, deren Fußpunkte in tiefen Sonnenschichten verankert sind. Die dort stets herrschenden Strömungen bewegen das Stützgerüst und damit die Protuberanz. Ein Forschungsteam der Universität Göttingen und der Institute für Astrophysik aus Paris, Potsdam und Locarno hat beobachtet, dass in den Sonnenprotuberanzen die ionisierte Eisenatome um bis zu siebzig Prozent schneller sind als neutrale Helium-Atome.
Die Forscher beobachteten, wie magnetische Kräfte innerhalb von zehn Minuten eine Protuberanz um 25.000 Kilometer anhoben. Das entspricht mit 42 Kilometern pro Sekunde etwa der vierfachen Schallgeschwindigkeit in der Protuberanz. Dabei traten Schwingungen mit einer Periode von 22 Sekunden auf, bei denen ionisierte Eisenatome deutlich schneller waren als neutrale Helium-Atome. Nach den Gesetzen der Physik müssen die elektrisch geladenen Eisenionen den Bewegungen des Magnetfeldes folgen, nicht aber die ungeladenen Heliumatome. Diese werden zwar von den Ionen mitgerissen, jedoch nur zum Teil, da es nicht genügend Kollisionen gibt, weil der Gasdruck zu niedrig ist.
Solche Bedingungen, bei denen teilionisiertes Gas mit wenigen Kollisionen vorkommt, spielen in der Astrophysik eine wichtige Rolle – nicht nur in Sonnenprotuberanzen, sondern unter anderem auch in Gaswolken, aus denen sich Sterne und Planeten bilden, im weit verteilten Gas zwischen den Sternen und im Gas zwischen Galaxien. Die theoretische Astrophysik simuliert solch einen Zustand mit zwei Flüssigkeiten, die nur schwach miteinander wechselwirken. „Diese Rechnungen enthalten Modell-Annahmen, von denen einige mit den neuen Messergebnissen überprüft werden können“, sagt Eberhard Wiehr vom Institut für Astrophysik der Universität Göttingen.
Das Team führte die Beobachtungen am Sonnenteleskop in Locarno durch, mit dem nur zwei Emissionslinien gleichzeitig gemessen werden konnten. Nun planen die Wissenschaftler erweiterte Beobachtungen am französischen Teleskop auf Teneriffa, mit dem mehrere Linien gleichzeitig vermessen werden können. Zudem ermöglicht die vierfache Lichtstärke dieses Teleskops eine so kurze Belichtung der lichtempfindlichen Kameras, dass noch kürzere Schwingungsperioden messbar werden. „Möglicherweise finden wir dann noch höhere Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den geladenen Ionen und den neutralen Atomen“, sagt Wiehr.
U. Göttingen / JOL