Ein Dipol aus zwei gleichen Atomen
In einem Molekül aus zwei Rubidiumatomen entsteht ein Ungleichgewicht der Ladung, wenn ein Atom in einen Rydberg-Zustand angeregt wird.
Das Tauziehen zweier gleicher Atomkerne um die Bindungselektronen in einem Molekül geht normalerweise unentschieden aus: Beide kämpfen mit gleichen Kräften, keinem gelingt es, die Elektronen näher an sich zu ziehen. Die Entstehung eines negativen und positiven Pols – ein permanentes elektrisches Dipolmoment – in einem Molekül aus zwei gleichen Atomen ist daher ausgeschlossen.
Abb.: Ein „Trilobiten“-Molekül: Geht ein stark angeregtes Rydberg-Atom (in der Mitte) eine Bindung mit einem nicht angeregten Atom (am oberen Rand) ein, entsteht ein Molekül, das an ein urzeitliches Tierchen erinnert. (Bild: MPIPKS / U. Stuttgart)
Ein internationales Team um Wissenschaftler des Dresdener Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme berichtet nun erstmals über ein permanentes elektrisches Dipolmoment an einem Riesenmolekül aus zwei Rubidium-Atomen: Bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt wird dabei eines der Rubidium-Atome mittels Laserlicht so stark angeregt, dass sein äußeres Elektron gerade noch am Atomkern gebunden bleibt. An einem solchen exotischen Molekül konnten die Forscher ein permanentes elektronisches Dipolmoment in der Größe von einem Debye nachweisen. Ein Phänomen, das der bisherigen Lehrmeinung widerpricht.
Das äußere Elektron eines Rubidium-Atoms wurde dabei mittels Laserlicht so stark angeregt, dass es auf eine planetenartige Umlaufbahn geriet, die einen weiten Bogen um seinen Heimatkern beschrieb. Diese Umlaufbahn, und damit das Atom, hatte einen Durchmesser, der tausendmal größer war, als das ursprüngliche Atom. Diese so genannten Rydberg-Atome sind fragile Objekte und überleben nur in einer Umgebung mit geringen Störeinflüssen, das heißt, sie brauchen ultrakalte Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt. Befand sich nun während der Laseranregung ein weiteres nicht-angeregtes Atom innerhalb der Planetenbahn des Elektrons, so konnte sich ein riesiges zweiatomiges Rydberg-Molekül bilden. Im elektrischen Feld haben die Wissenschaftler daran mittels hochauflösender Spektroskopie eine permanente Ladungsverschiebung nachgewiesen. Das Rubidium-Atom im Grundzustand ist dabei der negative Pol, das Rydberg-Atom der positive.
Das Besondere an diesem äußerst fragilen polaren Molekül: Es ist etwa tausend Mal so groß wie gewöhnliche Moleküle. Der Größenunterschied zwischen dem gigantischen Rydberg-Atom und dem nicht-angeregten Atom-Zwerg macht nun den Platztausch zwischen den Elektronen unmöglich: Das Tunneln eines stark gebundenen Elektrons von einem Atom zum anderen dauert aufgrund der riesigen Distanz zwischen den Partnern länger als die Lebensdauer des Universums. Das hat einen Symmetriebruch zur Folge, der die Bildung eines permanenten elektrischen Dipolmoments quantenmechanisch erst möglich macht.
Im Jahr 2009 gelang es den Kollegen der Universität Stuttgart erstmals, Riesen-Rydberg-Moleküle im Labor herzustellen. Bisher ging man allerdings davon aus, dass die quantenmechanische Elektronendichte des Rydberg-Elektrons Kugelbahnen entsprechen und das Molekül damit kein Dipolmoment besitzt. Durch die Interaktion des Rydberg-Elektrons mit dem nicht-angeregten Atom ändert sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Rydberg-Elektrons jedoch ganz leicht, die Kugelbahnen werden leicht verzerrt und ein Dipolmoment entsteht.
Die Forscher haben damit nicht nur gezeigt, dass ein bisher nicht für möglich gehaltenes Phänomen tatsächlich existiert. Es könnte zukünftig auch für andere Wissenschaftler interessant sein: Aufgrund der hohen Empfindlichkeit für elektrische Felder könnten Physiker und Chemiker mit Hilfe von Riesen-Rydberg-Molekülen bei ultrakalten Bedingungen chemische Reaktionen kontrollieren und verfolgen – und so neue Erkenntnisse über die Struktur chemischer Verbindungen gewinnen.
MPG / PH