Ein Memristor ist ein erst vor zehn Jahren erstmals realisierter elektronischer Baustein, der digitale Daten sowohl berechnen als auch zugleich speichern kann. Zahlreiche Prototypen aus Metalloxiden oder sogar organischen Molekülen konnten bereits einfache logische Berechnungen durchführen. Der große Schritt hin zu Memristor-Schaltkreisen, die ähnlich wie die Neuronen im Gehirn arbeiten, gelang bisher jedoch nicht. Ein neuer Memristor-Typ, Memtransistor genannt, könnte nun die Basis dazu legen. Denn wie die Entwickler um Mark C. Hersam von der Northwestern University in Evanston berichten, bietet der Memtransistor mit bis zu sieben Elektroden erstmals die Fähigkeit für eine komplexere Vernetzung mehrerer Module.
Abb.: Memtransistoren aus Molybdändisulfid könnten in Zukunft komplexe Schaltkreise ermöglichen, die ähnlich arbeiten wie die neuronalen Netzwerke im Gehirn. (Bild: M. Hersam, NWU)
Für ihre Prototypen deponierten Hersam und Kollegen in einem Spin-Coating-Verfahren eine nur eine Moleküllage dünne Schicht aus Molybdändisulfid auf einem Träger aus Siliziumdioxid. In dieser polykristallinem Schicht formten sie mit lithografischen Methoden filigrane Leitungskanäle mit Ausmaßen zwischen fünf und 150 Mikrometern. Entsprechend kontaktiert ließ sich in dem Memtransistor eine Transistorschaltung mit einem digitalen Speichermodul kombinieren. Insgesamt verfügte der Prototyp über sieben Kontaktelektroden für die elektronische Kontrolle und für die Verknüpfung mit weiteren Memtransistoren.
Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass die Schicht aus dem Halbleiter Molybdändisulfid aus zahlreichen einzelnen Kristallinseln bestand. „Da die Molybdändisulfid-Schicht atomar dünn ist, lässt sie sich einfach über elektrische Felder beeinflussen“, sagt Hersam. Dank dieser Eigenschaft ließ sich daraus mit entsprechend kontaktierten Source- und Drain-Elektroden ein Transistor konstruieren. Um digitale Daten im gleichen Modul aber auch speichern zu können, kam ihnen die hohe Mobilität von Defekten in dem kristallinen Material zugute.
So zeigten erste Testmessungen, dass der Memtransistor sich einerseits wie ein herkömmlicher Transistor schalten ließ. Andererseits ließ sich mit Spannungspulsen von bis zu 80 Volt die atomare Ordnung in der Molybdändisulfid-Schicht gezielt verändern. Diese kontrolliert fabrizierten Defekte führten zu schaltbaren Veränderungen des elektrischen Leitfähigkeit. Genauer war für den Zustand mit geringer Leitfähigkeit eine hohe Schottky-Barriere verantwortlich. Im gut leitenden Zustand war diese Barriere deutlich geschrumpft, so dass sich elektrische Ladungen viel leichter zwischen den Elektroden bewegen konnten.
Diese lokalen Variationen des elektrischen Widerstands eignen sich für die dauerhafte Speicherung digitaler Daten. Erneute Spannungspulse konnten diese Speicher löschen und neu beschreiben. So vereinte der Memtransistor die Schalteigenschaften eines Transistors mit einem Speichermodul. Doch im Unterschied zu früheren Memristor-Prototypen verfügte der Memtransistor über bis zu sieben Elektroden. Eine Schaltpuls an nur einer Elektrode beeinflusste den Stromfluss an den sechs weiteren Kontakten. Dieser Aufbau erlaubt es prinzipiell, einen Memtransistor mit einigen weiteren zu verknüpfen. „Dank dieser Struktur mit mehreren Kontakten ähnelt der Aufbau den Neuronen in einem Gehirn, die ebenfalls über mehrere Verknüpfungen, die Synapsen, verfügen“, sagt Hersam.
In weiteren Experimenten könnten nun elektronische Netzwerke mit mehreren Memtransistoren entwickelt werden. Diese sollen einfache logische Aufgaben erfüllen. Doch die Erwartungen auf dem Feld der Memristor-Forschung gehen deutlich weiter. Komplexere Systeme könnten danach den Weg zu künstlichen Intelligenzen ebnen, die schneller als herkömmliche Computer etwa verschiedene Muster erkennen und voneinander unterscheiden oder einzelne Daten aus sehr großen Datensätzen herausfiltern.
Ob dieser Schritt mit Memristoren aus Metalloxiden oder den neuen Memtransistoren aus Molybdändisulfid tatsächlich gelingt, lässt sich bisher nicht absehen. Doch immerhin erlaubten die von Hersam genutzten Verfahren die Fertigung von einigen Dutzend Memtransistoren. Und der Forscher ist davon überzeugt, dass sich diese Prozesse auch für die Produktion von Millionen Memtransistoren – vergleichbar mit den heute angewandten Verfahren der Chiphersteller – skalieren lassen.
Jan Oliver Löfken
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