06.03.2024

Ein Regenschirm für 2D-Materialien

Graphen- und Karbid-Schichten ummanteln und schützen atomar dünnes Indenen.

Schneller, kleiner, kompakter – die Computerchip-Entwicklung stößt bald an ihre physikalische Grenze. Die Suche nach leistungs­fähigen Alternativen gehört weltweit zu den großen Heraus­forderungen der Werkstoff­wissenschaft. Forschende des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat haben einen Schutzfilm entwickelt, der Quanten-Halbleiter­schichten von der Dicke nur eines Atoms effektiv vor Umwelteinflüssen schützt – ohne deren revo­lutionäre Quanten­eigenschaften zu verändern. Damit rückt die Anwendung dieser empfindlichen Atomlagen für ultradünne elektronische Bauelemente in realistische Reichweite.

Abb.: Illustration der Schutzfunktion einer Graphen-Lage gegenüber Wasser. Der...
Abb.: Illustration der Schutzfunktion einer Graphen-Lage gegenüber Wasser. Der elektrische Stromfluss am Rand des topologischen Isolators Indenen bleibt von den Umgebungseinflüssen völlig unbeeindruckt.
Quelle: J. Bandmann, pixelwg

Die Forschenden stießen schon 2021 auf topologische Quantenmaterialien wie Indenen, die enormes Potenzial für ultraschnelle und verbrauchsarme Elektronik besitzen. Der extrem dünne Quanten-Halbleiter besteht nur aus einer einzigen Lage von Indium-Atomen und leitet als topo­logischer Isolator Strom an ihrem Rand praktisch ungebremst. „Eine solche einzelne Atomlage muss in komplexen Vakuum­apparaturen und auf einem bestimmten Trägermaterial hergestellt werden. Um daraus elektronische Bauelemente zu produzieren, müsste das zwei­dimensionale Material aus dem Vakuum herausgeholt werden. Schon der kleinste Kontakt zum Beispiel mit Luft lässt die Schicht aber oxidieren. Das zerstört ihre revolutionäre Eigenschaft und macht sie unbrauchbar“, sagt Ralph Claessen, Würzburger Sprecher des Exzellenzclusters ct.qmat. Dieses Problem konnte das Würzburger ct.qmat-Team jetzt lösen.

„Zwei Jahre haben wir nach einer Möglichkeit geforscht, die empfindliche Indenen-Lage mit einer Schutzschicht vor Umgebungs­einflüssen abzuschirmen. Die Schwierigkeit war, dass die Schutzschicht selbst nicht mit der Indenen-Lage reagieren durfte“, sagt Doktorand Cedric Schmitt. Denn wenn zwei unter­schiedliche Atome wie die der Schutzschicht und die des zu schützenden Halbleiters in Kontakt kommen, dann findet auf atomarer Ebene eine chemische Reaktion statt, die das Material verändert. Das ist bei konven­tionellen Silizium-Chips unproblematisch, weil Silizium aus vielen Atomlagen besteht und davon immer genug unberührte, funktionsfähige übrigbleiben.

„Ein Halbleitermaterial aus einer einzelnen Atomlage wie Indenen würde durch einen Schutzfilm zugleich zerstört werden. Ein scheinbar unlösbares Problem, das unseren Forschergeist geweckt hat“, so Claessen. Die Suche nach einer brauchbaren Schutzschicht begann mit van-der-Waals-Materialien. „Die zwei­dimensionalen van-der-Waals-Atomlagen haben die tolle Eigenschaft, dass ihre Atome untereinander zwar stark gebunden sind, auf dem Trägermaterial aber nur schwach aufliegen“, erläutert Claessen. „Ein ähnliches Prinzip wird beim Schreiben mit Bleistift genutzt, dessen Mine aus Graphit besteht. Die einzelnen Graphen-Lagen lassen sich sehr leicht ablösen. So etwas brauchten wir auch!“

In einer aufwändigen Ultrahochvakuum-Apparatur hat das Würzburger Team schließlich Siliziumkarbid (SiC) als Trägermaterial für Indenen erhitzt und untersucht, unter welchen Bedingungen daraus Graphen entsteht. „Siliziumkarbid setzt sich aus Silizium und Kohlenstoff zusammen. Beim Erhitzen lösen sich die Kohlenstoff­atome aus der Oberfläche und bilden Graphen“, sagt Schmitt. „Anschließend haben wir Indium-Atome aufgedampft, die zwischen die schützende Graphen- und die tragende Karbid-Schicht getaucht sind. So ist die Schutzschicht für unser zweidimensionales Quantenmaterial Indenen entstanden.“

Damit ist es weltweit zum ersten Mal gelungen, eine funktionsfähige Schutzschicht für ein zweidimensionales Quanten-Halbleiter­material experimentell herzustellen, ohne dessen außergewöhnliche Quanten­eigenschaften zu zerstören. Nachdem sie den Herstellungsprozess analysiert hatten, untersuchten die Forschenden genau, ob die Schicht tatsächlich vor Oxidation und Korrosion schützt. „Es klappt! Wir können die Probe sogar Wasser aussetzen und es passiert ihr nichts“, freut sich Claessen. „Die Graphen-Schicht ist wie ein Regenschirm für unser Indenen.“

Die Forschungsergebnisse eröffnen spannende Anwendungsperspektiven für die extrem empfindlichen Halbleiter-Atomlagen. Die Herstellung ultradünner elek­tronischer Bauelemente erfordert deren Verarbeitung an der Luft oder in anderen chemischen Umgebungen. Mit dem jetzt gefundenen Schutz wurde ein Prinzip gefunden, das dies ermöglicht. Die Wissenschaftler konzentrieren sich nun darauf, weitere van-der-Waals-Materialien zu entdecken, die diese Schutz­funktion ebenfalls erfüllen. Sie haben schon einige Kandidaten im Blick. Denn auch wenn Graphen atomare Monolagen effizient vor Umgebungseinflüssen bewahrt, ist es selbst elektrisch leitend und kann daher Kurzschlüsse verursachen. Auch diese Heraus­forderungen wollen die Forschenden meistern und so die Voraussetzungen für eine künftige Atomlagen-Elektronik schaffen.

ct.qmat / JOL

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