Einbahnstraße für Elektronen
Konischen Durchschneidungen sorgen für ultraschnellen, gerichteten Energietransport zwischen benachbarten Molekülen eines Nanomaterials.
Ob in Solarzellen, bei der Photosynthese oder im menschlichen Auge: Fällt Licht auf das Material, so kommt es in bestimmten Molekülen zu einem Transport von Energie und Ladung. Dieser führt dazu, dass sich Ladungen trennen und Strom erzeugt wird. Dabei sorgen konische Durchschneidungen – eine Art molekularer Trichter – dafür, dass dieser Transport hocheffizient und gerichtet stattfindet. Ein internationales Team um Antonietta De Sio von der Uni Oldenburg und Thomas Frauenheim von der Uni Bremen hat jetzt erstmals experimentell beobachtet und mit Simulationen bestätigt, dass solche konischen Durchschneidungen auch für einen ultraschnellen, gerichteten Energietransport zwischen benachbarten Molekülen eines Nanomaterials sorgen. Bisher hatten Wissenschaftler dieses Phänomen nur innerhalb eines Moleküls nachgewiesen. Die Ergebnisse könnten langfristig helfen, beispielsweise effizientere Nanomaterialien für organische Solarzellen zu entwickeln.
Photochemische Prozesse spielen in der Natur und Technik eine große Rolle: Absorbieren Moleküle Licht, gehen ihre Elektronen in einen angeregten Zustand über. Dieser Übergang löst extrem schnelle molekulare Schaltprozesse aus. Im menschlichen Auge zum Beispiel dreht sich das Molekül Rhodopsin nach Absorption eines Photons auf eine bestimmte Art und löst damit letztlich ein elektrisches Signal aus – der elementarste Schritt des Sehvorgangs.
„Der Drehprozess läuft immer ähnlich ab, obwohl es aus quantenmechanischer Sicht viele unterschiedliche Möglichkeiten für die molekulare Bewegung gibt,“ erläutert Team-Mitglied Christoph Lienau. Grund hierfür ist, dass sich das Molekül beim Drehprozess durch eine konische Durchschneidung hindurchbewegen muss, wie ein Forscherteam bereits 2010 im Sehpigment experimentell zeigte. „Dieser quantenmechanische Mechanismus funktioniert wie eine Einbahnstraße im Molekül: Er leitet die Energie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in eine bestimmte Richtung“, so Lienau.
Eine solche Einbahnstraße für Elektronen haben die Forscher jetzt in einem Nanomaterial beobachtet, das Kollegen der Uni Ulm hergestellt hatten und das bereits in organischen Solarzellen verwendet wird. „Das Besondere ist, dass wir erstmals experimentell konische Durchschneidungen zwischen nebeneinander liegenden Molekülen nachgewiesen und theoretisch nachvollzogen haben“, erläutert De Sio. Bisher hatten Physiker weltweit das quantenmechanische Phänomen nur innerhalb eines Moleküls beobachtet und lediglich spekuliert, dass es konische Durchschneidungen auch zwischen nebeneinanderliegenden Molekülen geben könnte.
Das Team hat die Einbahnstraße für Elektronen mit Methoden der ultraschnellen Laserspektroskopie entdeckt. Dabei beleuchten die Wissenschaftler das Material mit nur wenige Femtosekunden kurzen Laserimpulsen. Die Methode ermöglicht den Forschern, eine Art Film von den Prozessen aufzunehmen, die direkt nach dem Eintreffen des Lichts auf dem Material ablaufen. Dabei konnten die Forscher verfolgen, wie sich Elektronen und Atomkerne durch eine konische Durchschneidung hindurchbewegten.
Das Team fand heraus, dass eine besonders starke Kopplung zwischen den Elektronen und bestimmten Schwingungsbewegungen des Atomkerns dazu beiträgt, Energie wie auf einer Einbahnstraße von einem Molekül zu einem anderen zu übertragen. Genau das passiert bei der konischen Durchschneidung, die die Forscher damit dingfest machen. „In dem von uns untersuchten Material lagen nur etwa vierzig Femtosekunden zwischen der allerersten optischen Anregung und dem Durchtritt durch die konische Durchschneidung“, so De Sio.
Mithilfe theoretischer Berechnungen konnten Kollegen weiterer Institute dann die Beobachtungen und ihre Interpretation bestätigen. Zwar können die Forscher die genaue Wirkung und das technologische Potenzial dieser quantenmechanischen Einbahnstraßen auf Nanostrukturen noch nicht im Detail abschätzen. Langfristig könnten die neuen Erkenntnisse aber dabei helfen, Materialien für organische Solarzellen oder optoelektronische Bauteile besser maßzuschneidern und deutlich effizienter als bisher zu machen oder künstliche Augen aus Nanostrukturen zu entwickeln.
U. Oldenburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. De Sio et al.: Intermolecular conical intersections in molecular aggregates, Nat. Nanotech., online 16. November 2020; DOI: 10.1038/s41565-020-00791-2 - Ultraschnelle Nano-Optik (C. Lienau), Institut für Physik, Universität Oldenburg
- Computational Materials Science (T. Frauenheim), Bremen Center for Computational Materials Science, Universität Bremen