18.09.2013

Eine feste Größe in der Forschungslandschaft

Das IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon feierte sein 50-jähriges Bestehen.

Rüschlikon – spätestens nach den Nobelpreisen 1986 und 1987 ist diese Gemeinde unweit von Zürich für Physiker kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte. Schließlich befindet sich dort das IBM-Forschungszentrum, am dem das Rastertunnelmikroskop erfunden und die Hochtemperatur-Supraleitung entdeckt wurden. Das Zentrum exis­tiert jedoch schon viel länger: In den Fünfzigerjahren, als die Computerindustrie noch in den Kinderschuhen steckte und IBM gerade erste mit Röhren bestückte Computer auf den Markt gebracht hatte, beschloss die Unternehmensleitung, in Europa ein Forschungslabor zu errichten. Nach einem angemieteten Standort in Adliswil bei Zürich bezog IBM im Frühjahr 1963 eigene Gebäude in Rüschlikon. Neben der Nähe zu angesehenen Universitäten und der zentralen Lage in Europa spielten bei der Entscheidung für die Region Zürich sicher auch weiche Kriterien wie der herrliche Blick über den Zürichsee und auf die Berge eine Rolle. „Das ist eine landschaftliche Umgebung, in der sich Forschende wohl fühlen“, gab sich der Bürgermeister von Rüschlikon Bernhard Elsener überzeugt, als er Anfang September fast 400 Gäste zu einem Festkolloquium anlässlich des 50. Geburtstags begrüßte.

Heute betreibt IBM weltweit zwölf Forschungszentren auf allen Kontinenten, unter denen Rüschlikon aber nicht nur wegen der Nobelpreise einen gewissen Sonderstatus genießt. „Vor allem in der Physik machen wir noch vergleichsweise viel Grundlagenforschung, und dafür haben wir entsprechende Labore und Equipment, die uns eine herausragende Rolle verschaffen“, begründet Matthias Kaiserswerth, der Direktor des Zentrums. Erst vor zwei Jahren wurde das nach den Erfindern des Rastertunnelmikroskops benannte „Binnig and Rohrer Nanotechnology Center“ eröffnet. Mit seinen Reinräumen, Aufdampfanlagen, Messgeräten und insbesondere den sechs „noise free labs“, die besser als jedes andere Labor gegen äußere Einflüsse abgeschirmt sind, bietet es eine der weltweit besten Umgebungen für Nanotechnologieforschung. 60 Millionen Franken hat IBM für das Gebäude ausgegeben, weitere 30 Millionen für die Einrichtung haben sich IBM und die ETH Zürich geteilt.

Blick auf das IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon mit dem
„Binnig and Rohrer Nanotechnology Center“ im Vordergrund. (Quelle: IBM)

Rund ein Viertel der Mitarbeiter des Forschungszentrums beschäftigen sich innerhalb des Department „Science and Technology“ (S&T) mit allen Aspekten der Halbleitertechnologie. „Wir wollen natürlich das Mooresche Gesetz weitertreiben und die CMOS-Technologie ausreizen“, sagt Kaiserswerth. Daher entwickeln die IBM-Forscher neue Transistorgeometrien, sie versuchen, Silizium-Nanodrähte als Gate zu integrieren, oder experimentieren mit neuen Materialien. Daneben stehen aber die Ablösung des CMOS-Transistors ebenso auf der Agenda wie Grundlagenforschung zu potenziellen Zukunftstechnologien, beispielsweise Spintronik oder molekulare Elektronik. Dazu gehört auch die Freiheit, eine Idee auszuprobieren, ohne sie gleich an die große Glocke zu hängen. „Jeder ist angehalten, auch aus der Komfortzone zu gehen“, sagt der deutsche Physiker Walter Riess, der das S&T-Department leitet: „Wenn all unsere Projekte erfolgreich sind, waren die Ziele nicht ehrgeizig genug.“

Diese Freiheit nutzte auch vor dreißig Jahren Georg Bednorz, als er gemeinsam mit Karl Alex Müller nach neuen Supraleitern unter den Oxiden suchte. Kurz zuvor hatte IBM alle kommerziellen Aktivitäten zur Entwicklung eines Computers auf der Basis von Josephson-Kontakten eingestellt. „Wir haben uns quasi in einer Trotzreaktion neben unserem Hauptprojekt die Freiheit genommen, etwas für die Fachwelt Exotisches auszuprobieren“, erinnert sich Bednorz, der 1987 gemeinsam mit Müller den Physik-Nobelpreis erhielt. Auch die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops, für die Gerd Binnig und der kürzlich verstorbene Heinrich Rohrer 1986 den Nobelpreis erhielten, hatte durchaus einen kommerziellen Hintergrund. „Diese Arbeiten waren motiviert durch die Tatsache, dass wir Computerchips bauen und besser verstehen wollten, wie die Oberflächen aussehen und was an Grenzschichten passiert“, sagt Kaiserswerth.

Beim Gang über das Gelände des Forschungszentrums erinnert vieles an einen Universitätscampus. Aber nicht nur die Laborausstattung dürfte seinesgleichen an einer Universität suchen, auch der Anteil an permanenten Mitarbeitern ist viel höher. Als weiteren entscheidenden Unterschied nennt Riess: „Wir beenden auch Projekte und wechseln Felder“. So hat IBM vor einigen Jahren das gesamte Knowhow zu organischen Displays verkauft – Riess ist ursprünglich als Experte dafür zu IBM gekommen – und kurz danach mit großen Investitionen Forschungsaktivitäten zu Nanodrähten gestartet, mit der die IBM-Forscher inzwischen zur Weltspitze gehören.

Das Ziel aller Forschungsarbeiten in Rüschlikon ist natürlich letztlich der Computer der Zukunft. Kaiserswerth ist überzeugt davon, dass sich die Computerindustrie derzeit grundlegend verändert, von der „Ära programmierbarer Systeme zur Ära kognitiver, lernender Systeme“, also zu Computern mit Eigenschaften, die Menschen zugeschrieben werden. Mit dem nach dem Firmengründer benannten Watson bringt IBM nun ein solches System auf den Markt, das menschliche Sprache versteht, selbstständig Informationen aus riesigen Datenmengen gewinnt und daraus Schlüsse zieht. Nachdem Watson vor zwei Jahren bereits souverän in der amerikanischen Quizsendung Jeopardy gegen die amtierenden Meister gewonnen hat, soll das System künftig Diagnose und Therapie von Krankheiten oder Investitionsentscheidungen in der Finanzbranche unterstützen.

Stefan Jorda

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