12.11.2015

Einweihung unter Tage

Im italienischen Gran-Sasso-Labor wurde das Experiment XENON1T zur Suche nach Dunkler Materie eingeweiht.

Mitten im Tunnel zwischen Teramo und Assergi und fast anderthalb Kilometer unter der Spitze des Gran-Sasso-Massivs befindet sich das weltgrößte Untergrundlabor für Astroteilchenphysik. Hinter einem großen Tor führt ein langer Tunnel an drei riesigen Hallen vorbei, in denen sich verschiedene Experimente befinden. In der mittleren steht seit neuestem ein zehn Meter hoher Tank, daneben ein dreistöckiges Gebäude mit gläserner Front – das XENON1T-Experiment, das am 11. November feierlich im italienischen Nationallabor Gran Sasso eingeweiht wurde. Ziel des rund 13 Millionen Euro teuren Experiments ist es, Teilchen der Dunklen Materie aufzuspüren.

Inzwischen scheint unbestritten, dass große Mengen an Dunkler Materie existieren. Zahlreiche kosmologische und astrophysikalische Beobachtungen lassen sich am elegantesten mit der Existenz Dunkler Materie erklären: Beispielsweise kann nur die zusätzliche Schwerkraft von Dunkler Materie die Rotationskurven von Galaxien oder die Strukturentwicklung in unserem expandierenden Universum erklären. Auch die Gravitationslinsenbilder von Galaxienhaufen, Cluster-Kollisionen und diverse andere Effekte zeigen in diese Richtung.

Ein möglicher Kandidat für Dunkle Materie sind Weakly Interacting Massive Particles (WIMPs), die sich nach der Theorie ähnlich verhalten wie sehr schwere Neutrinos. Jede Sekunde durchqueren uns demnach Millionen von WIMPs, ohne dass diese wechselwirken und ohne dass wir dies bemerken würden. WIMPs aufzuspüren stellt deswegen eine besondere Herausforderung dar und erfordert äußerst empfindliche Detektoren, die sensitiv sind auf die Wechselwirkung mit WIMPs und einen extrem niedrigen Untergrund haben.

In einer der unterirdischen Hallen des Gran-Sasso-Labors steht der über zehn Meter hohe Tank mit dem XENON1T-Experiment. (Foto: Xenon-Kollaboration)

Die erfolgversprechendsten Experimente zur direkten Suche nach WIMPS basieren auf flüssigem Xenon, da dieses Edelgas aufgrund seiner hohen Dichte unerwünschte Strahlung abschirmt, aber gleichzeitig empfindlich ist für schwache Wechselwirkung. „Mit unseren ersten Ergebnissen von XENON10 begann 2006 das Wettrennen um den Nachweis von WIMPs“, sagte Xenon-Sprecherin Elena Aprile von der Columbia University bei der Einweihungszeremonie stolz. Zu der Kollaboration gehören 126 Wissenschaftler aus 21 Institutionen weltweit. In Deutschland sind Gruppen der Universitäten Mainz und Münster sowie des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg beteiligt.

Bei der feierlichen Einweihung unter Tage konnten aus Sicherheitsgründen nur 80 Gäste dabei sein – die leitenden Wissenschaftler und auch Vertreter der beteiligten Institutionen und Länder. Alle waren mit Helm bewaffnet, als Elena Aprile formvollendet eine Sektflasche am Stahltank des Experiments zerschellen ließ. Dass unter Tage anschließend direkt neben dem Experiment sogar Sekt ausgeschenkt wurde, war natürlich eine Ausnahme und dem besonderen Anlass geschuldet, den die Vertreter der Länder und Förderinstitutionen mit einigen Worten würdigten. Einer von ihnen war der Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Ferdi Schüth, der in seinem Grußwort unterstrich, dass die MPG stolz darauf ist, Teil der Kollaboration zu sein.

XENON1T ist eine sog. Zeitprojektionskammer, die auf den Erfahrungen von zwei Vorgängerexperimenten aufbaut: Trifft ein WIMP im Detektor auf ein Xenonatom, entstehen neben Szintillationslicht auch Elektronen. Oben und unten am Xenontank befinden sich zahlreiche empfindliche Photomultiplier-Tubes (PMTs), die das Szintillationslicht nachweisen. Zusätzlich driften die Elektronen in einem angelegten elektrischen Feld nach oben, wo sie einen zweiten Lichtblitz erzeugen, den ebenfalls die PMTs nachweisen. „Dass die Elektronen oben ankommen und nicht einfach auf ihrem Weg mit anderen Atomen wechselwirken und verlorengehen, ist allerdings nicht selbstverständlich“, hebt Rafael Lang von der Purdue University hervor, der zu den leitenden Wissenschaftlern des Experiments zählt. Das Experiment verwendet insgesamt rund 3500 kg flüssiges Xenon, von denen die innersten sehr sauberen 1000 kg für die Suche nach dunkler Materie dienen und das Herzstück des Detektors darstellen. Der Xenontank ist von einer rund vier Meter breiten Wassersäule umgeben. Diese verhindert, dass Muonen die Messung stören (aktives Cherenkov Muon Veto). Ziel ist eine Empfindlichkeit von 2 x10-47 cm2 für den Wechselwirkungsquerschnitt von WIMPs mit Nukleonen.

Um diese hohe Sensitivität zu erreichen, müssen sämtliche Komponenten besonders rein und strahlungsarm sein. „Jede Flasche Xenon, jede Schraube und selbst jedes kleinste Bauteil der Photomultiplier, die wir mit dem Hersteller entwickelt haben, mussten wir genau überprüfen, damit wir uns keine unerwünschten Verunreinigungen einfangen“, betont Manfred Lindner, Direktor am MPIK und der Sprecher des XENON1T-Kollaboration-Boards. Die Reinheit aller Materialien hat er mit seiner Gruppe auf Herz und Nieren getestet. Das Xenon muss sogar weiter gereinigt werden, um allerkleinste Mengen von Kr-85 zu entfernen. Dies ist ein wichtiger Beitrag des „Reinigungsteams“ von der Universität Münster. Die Gruppe von Christian Weinheimer hat neben einem Gasreinigungssystem eine einzigartige kryogene Destillationssäule beigesteuert.

Der Detektor ist fertig zusammen geschraubt. Zunächst wird der Wassertank geflutet und getestet, bevor das flüssige (und kostbare) Xenon in den Detektor eingeleitet wird. Vermutlich Anfang 2016 startet die Datennahme. Aufgrund der viel besseren Empfindlichkeit sollte XENON1T seine Konkurrenzprojekte innerhalb kürzester Zeit hinter sich lassen: Eine Woche Datennahme mit XENON1T reicht aus, um die bislang beste Grenze für den Wechselwirkungsquerschnitt zu erzielen. „Die deutschen Partner wollen hierzu entscheidend beitragen“, verspricht Uwe Oberlack von der Uni Mainz, der ebenfalls an der Kollaboration beteiligt ist. Erste Erfolgsmeldungen könnten aber ein paar Monate dauern, da es zuvor gilt, den Detektor zu kalibrieren und zu verstehen. „Wenn wir das im nächsten Sommer geschafft haben, wäre das ein fantastischer Erfolg“, ist Christian Weinheimer überzeugt.

Während XENON1T seine Arbeit noch gar nicht aufgenommen hat, steht bereits das Upgrade in den Startlöchern: XENONnT mit sieben Tonnen flüssigen Xenons. Rund zwei Jahre soll das bestehende Experiment Daten sammeln, bevor die Wissenschaftler das Wasser und Xenon ausleiten, ihren Tank öffnen und das aktive Volumen im Inneren des Xenontanks vergrößern. Vorbereitet ist bereits alles: Die Kabel für die nächste Stufe des Experiments sind verlegt, die Photomultiplier werden recycelt und um rund 150 Stück erweitert. Vier Millionen Euro wird diese Erweiterung etwa kosten, welche die Empfindlichkeit nochmals um den Faktor 10 steigern soll. Der Umbau ist dabei keine große Sache, wie Rafael Lang verdeutlicht: „Wir haben alles modular aufgebaut und können das meiste vorbereiten, bevor wir den Tank öffnen. Mehr als vier bis sechs Wochen wird der Umbau deswegen nicht dauern.“

In den nächsten zwei bis drei Jahren wird XENON1T Maßstäbe setzen und braucht keine Konkurrenz durch andere Experimente zu fürchten. Und dennoch ist Geduld gefragt, denn mehr als zwei oder drei Ereignisse pro Jahr sind nicht zu erwarten. Insofern wartet auf die Wissenschaftler der XENON-Kollaboration eine schwierigere Aufgabe als lediglich die Suche einer Nadel im Heuhaufen.

Maike Pfalz

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