Elegante Spinkontrolle
Antiferromagnetische Isolatoren lassen sich effizient schreiben und elektrisch auslesen.
Die Entwicklungen für eine künftige neue Computertechnologie auf Basis von isolierenden Antiferromagneten sind einen Schritt weiter. Elektrisch isolierende Antiferromagneten wie zum Beispiel Eisenoxid und Nickeloxid bestehen aus mikroskopischen Magneten mit entgegengesetzten Ausrichtungen. Sie gelten als vielversprechende Materialien für den Ersatz der jetzigen Silizium-Bauteile in Computern. Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben in einem Kooperationsprojekt gezeigt, wie Informationen in isolierenden Antiferromagneten elektrisch geschrieben und ausgelesen werden können. Es gelang ihnen, den Schreibmechanismus zu identifizieren, indem sie eine Veränderung der magnetischen Struktur – zu beobachten mit bildgebenden Verfahren mittels Synchrotronstrahlung – und die elektrischen Messungen an der JGU korreliert haben.
Die Entdeckung öffnet den Weg für verschiedene Anwendungen, angefangen von ultraschnellen Prozessoren bis hin zu Kreditkarten, die durch externe Magnetfelder nicht gelöscht werden können, weil antiferromagnetische Materialien den ferromagnetischen überlegen sind. Die Forschungsarbeit erfolgte in Kooperation mit der Tohoku Universität in Sendai, Japan, und dem Elektronenspeicherring BESSY II am Helmholtz-Zentrum Berlin sowie dem britischen Synchrotron Diamond Light Source.
Mit antiferromagnetischen Materialien lassen sich prinzipiell Speicherelemente hergestellen, die wesentlich schneller sind und über eine deutlich größere Speicherkapazität verfügen als herkömmliche Elektronik. Allerdings lassen sich die Materialien nur sehr schwer kontrollieren und auslesen, was die Anwendung in Schreib- und Lesebauteilen erschwert. Louis Néel beschrieb in seiner Nobelpreisrede 1970 die antiferromagnetischen Materialien als interessant, aber nutzlos. Man glaubte, dass die Antiferromagnete nur durch extrem starke magnetische Felder zu manipulieren sind, Felder, wie sie beispielsweise mit supranleitenden Magneten erzeugt werden müssten. Diese Einschätzung hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert: Es zeigte sich, dass antiferromagnetische Materialien und sogar Isolatoren mithilfe von elektrischen Strömen wirksam kontrolliert werden können.
„Wir wissen, dass wir die Grenzen der konventionellen Elektronik auf Siliziumbasis bald erreichen werden, weil die technologischen Verbesserungen kontinuierlich voranschreiten. Das ist der wichtigste Grund, weshalb wir die Forschung in der Spintronik vorantreiben, einer Technik, die nicht nur die elektrische Ladung, sondern auch den Spin nutzt. Der Transport und die Verarbeitung von Informationen können damit verdoppelt werden“, sagt Lorenzo Baldrati, Marie-Skłodowska-Curie-Fellow an der JGU. „Unsere Forschung zeigt, dass antiferromagnetische Isolatoren für effiziente Schreibvorgänge und elektrisches Auslesen geeignet sind – eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf die Anwendung.“ Lorenzo Baldrati ist Postdoc in der Arbeitsgruppe von Mathias Kläui, der hinzufügt: „Ich freue mich sehr, dass die fruchtbare Zusammenarbeit mit unseren Kollegen in Japan und den Gruppen in Mainz nun zu einer weiteren gemeinsamen Veröffentlichung geführt hat. Mit der Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Exzellenz-Graduiertenschule Materials Science in Mainz und der DFG konnten wir einen lebhaften Austausch zwischen Mainz und Sendai und mit weiteren theoretisch arbeitenden Gruppen einrichten.“
Die Theorie entwickelte Olena Gomonay in der Arbeitsgruppe von Jairo Sinova. „Es hat Spaß gemacht, mit den experimentellen Physikern in Mainz zu arbeiten. Es ist spannend, wenn man mitverfolgen kann, wie sich Theorie und Experiment gegenseitig unterstützen, um neue physikalische Mechanismen und Phänomene aufzudecken“, so Olena Gomonay. „Obwohl sich unsere Arbeit nur auf ein bestimmtes System konzentriert, kann es als grundlegendes Prinzip für die Familie der antiferromagnetischen Isolatoren gelten. Wir hoffen, dass das tiefe Verständnis der antiferromagnetischen Dynamik, die wir im Laufe dieses Projekts erlangt haben, das spannende Feld der antiferromagnetischen Spintronik weiter vorantreiben und ein Ausgangspunkt für neue gemeinsame Projekte unserer Gruppen sein wird.“
JGU / DE
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
L. Baldrati et al.: Mechanism of Néel Order Switching in Antiferromagnetic Thin Films Revealed by Magnetotransport and Direct Imaging, Phys. Rev. Lett. 123, 177201 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.123.177201 - Gruppe von Mathias Kläui an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
- Projekt ARTES (AntifeRromagnetic spin Transport and Switching)