09.05.2019 • Oberflächen

Elektronen sind frei und doch diskret

Periodische Oberflächenstrukturen sorgen für eine diskrete Verteilung der Elektronendichte.

Die gezielte Beeinflussung von Elektronenzuständen ist für die gesamte moderne Elektronik und Nanotechnologie von grundlegender Bedeutung. Indem man etwa Elektronen in bestimmte Strukturen einsperrt, verändert sich deren Zustandsdichte und die Energieniveaus lassen sich gezielt einstellen. Im freien Raum oberhalb eines Festkörpers hingegen können sich Elektronen ungehindert bewegen. Eine einzelne Oberfläche kann Elektronen zwar reflektieren. Aufgrund fehlender Quantenbedingungen stellt sich aber ohne zweite Begrenzung keine diskrete Zustandsdichte ein.

Abb.: Über der strukturierten Kupferoberfläche bildet sich eine stehende...
Abb.: Über der strukturierten Kupferoberfläche bildet sich eine stehende Welle der Elektronendichte. (Bild: A. Martín-Jiménez et al. / APS)

Ein Forscherteam um Roberto Otero vom spanischen IMDEA Institute for Nanoscience  und von der Universidad Autónoma in Madrid hat nun eine überraschende Beobachtung gemacht. Die Wissenschaftler haben die Oberfläche eines Kupferkristalls untersucht, der an einigen Stellen mit einer organischen Schicht bedeckt war. Interessanterweise stellte sich dabei heraus, dass die Dichte der freien Elektronen in der Nähe dieser Strukturen eine Periodizität aufwies. Dieser ungewöhnliche Befund weckt Hoffnungen, derartige Effekte mit gezielt entwickelten Strukturen einzusetzen, um damit neuartige elektronische Strukturen zu schaffen.

Ursprünglich hatten die Wissenschaftler geplant, die Anlagerung von Molekülen an eine Oberfläche zu untersuchen und dabei auch den Einfluss der Oberflächenelektronen auf diesen Prozess zu messen. Hierzu analysierten sie das selbstorganisierende Verhalten eines organischen Stoffes auf einem entlang der Kristallachsen geschnittenen Kupferkristall. Auf der Oberfläche dieses Kristalls befanden sich kleine Inseln aus Tetracyanoquinodimethan (TCNQ), die die Forscher mit Hilfe eines Molekülverdampfers aufbrachen. Diese Moleküle bildeten von selbst kleine, rhombiodale Strukturen von wenigen Nanometern Länge und Breite aus. Dabei nahm der Rand dieser Inselchen eine besondere Form an, bei der sich die rhomboidale Basiszelle mit einer Periodizität von 3,5 Nanometern wiederholte – was der doppelten Strecke der kürzen Diagonale im Oberflächengitter entsprach.

Die Wissenschaftler untersuchten nun die Elektronenverteilung, die sich um diese Strukturen herum bildete, mit einem Rastertunnelmikroskop. Hierzu arbeiteten sie unter Ultrahochvakuum und mit geringen Spannungen, um die subtilen Effekte sichtbar machen zu können. Wie sich herausstellte, entsprach die Elektronenverteilung in der Nähe der Inselkanten einer stehenden Welle. Offenbar wirkte der strukturierte Rand der organischen Inselchen wie ein Beugungsgitter, an dem die ein- und ausfallenden Elektronen Bragg-artig gestreut wurden und die Elektronenverteilung eine periodische Amplitudenmodulation erfuhr.

Die nähere Analyse ergab, dass eine Überlagerung von Wellen mit unterschiedlicher Wellenlänge stattgefunden hatte. Die Elektronen nahe der Kristalloberfläche zeigten diskrete Banden – auch ohne räumlichen Einschluss. Nach Angaben der Forscher ist dies die erste Beobachtung einer diskreten Elektronenverteilung um eine Festkörper-Nanostruktur, die nicht durch räumlichen Einschluss der Elektronen, sondern durch Beugung zustande gekommen ist.

Wenn eine solche Materialkante wie ein Bragg-Gitter auf Elektronen wirkt, könnte sich dieser Effekt auch einsetzen lassen, um das elektronische Verhalten des Festkörpers zu definieren. Denn von der Elektronendichte an der Oberfläche eines Materials hängen wiederum viele andere Eigenschaften ab. Sowohl chemische Reaktionen als auch das optische Reflexionsvermögen und die elektrische Leitfähigkeit werden hierdurch bestimmt. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, diese Parameter gezielt zu beeinflussen. Aber auch im Bereich der Nanotechnologien, wie etwa bei der gezielten Anlagerung von Atomen an eine Oberfläche, könnten sich solche Effekte nutzen lassen. 

In Zukunft ist nach Ansicht der Wissenschaftler insbesondere ein Schritt in die nächste Dimension möglich. Während ihr Experiment eine Oberfläche mit eindimensionaler, gewellter Kante vorsah, ist künftig auch denkbar, eine dreidimensionale Struktur mit einem sorgfältig strukturierten zweidimensionalen Supergitter als Bedeckung zu entwerfen. Damit ließe sich die elektronische Zustandsdichte über einen räumlichen Bereich modifizieren, der ungefähr der Kohärenzlänge der Elektronen entspricht – was interessante Möglichkeiten verspricht, das Oberflächenverhalten von Materialien gezielt einzustellen.

Dirk Eidemüller

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RK

 

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