Energiesparen mit Magnonen
Magnetische Anregungen übertragen Informationen ohne Wärmeverlust.
Ein großer Nachteil elektronischer Bauteile ist, dass der Stromfluss aufgrund des elektrischen Widerstands immer auch Wärme erzeugt – angesichts der immensen Zahl elektronischer Bauteile weltweit, ein gigantischer Energieverlust. Eine energieeffiziente Alternative besteht darin, magnetische Wellen für Transport und Verarbeitung von Informationen zu verwenden. Denn sie produzieren nicht annährend so viel unnütze Wärme. Solche Bauteile könnten auch wesentlich kompakter sein. Weltweit suchen daher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Materialien, in denen magnetische Spin-Wellen für den Informationstransport genutzt werden können. Ein internationales Forschungskonsortium unter maßgeblicher Beteiligung der Technischen Universität München ist nun auf dieser Suche einen wichtigen Schritt vorwärts gekommen. Ihre Beobachtungen von Spinwellen auf Kreisbahnen in bestimmten magnetischen Materialien könnten auch für diejenigen Quanten-Technologien einen Durchbruch bedeuten, die Wellen dazu benutzen, um Informationen zu transportieren.
Wirft man einen Stein ins Wasser, so bringt man die Wassermoleküle aus ihrer Ruhelage. Sie fangen an zu schwingen; eine kreisförmige Welle breitet sich aus. Ganz ähnlich kann man die magnetischen Momente in manchen Materialien zu einer Schwingung anregen. Dabei führt das magnetische Moment eine Kreiselbewegung um seine ursprüngliche Ruhelage aus. Die Schwingung eines Atoms stößt eine Schwingung des nächsten an, und so pflanzt sich die Welle fort. Für Anwendungen ist es hierbei wichtig, die Eigenschaften dieser magnetischen Wellen, wie beispielsweise ihre Wellenlänge oder Richtung, kontrollieren zu können. In konventionellen Ferromagneten, in welchen die magnetischen Momente alle in dieselbe Richtung zeigen, breiten sich magnetische Wellen grundsätzlich geradlinig aus.
Ganz anders verhält sich die Ausbreitung solcher Wellen in einer neuen Klasse magnetischer Materialien, die einem Paket ungekochter Spagetti vergleichbar, aus einer engen Anordnung magnetischer Wirbelschläuche bestehen. Entdeckt wurde sie vor knapp fünfzehn Jahren von einem Team um Christian Pfleiderer und Peter Böni an der TU München mit Hilfe von Neutronenexperimenten. Aufgrund ihrer nicht-trivialen topologischen Eigenschaften und in Anerkennung der theoretisch-mathematischen Entwicklungen des britischen Kernphysikers Tony Skyrme werden die Wirbelschläuche als Skyrmionen bezeichnet.
Da Neutronen selbst ein magnetisches Moment tragen, eignen sie sich besonders gut zur Erforschung magnetischer Materialien, da sie wie eine Kompassnadel hochempfindlich auf magnetische Felder reagieren. Für den Nachweis der Spinwellen auf Kreisbahnen erwies sich die Neutronenstreuung sogar als alternativlos, da nur sie die erforderliche Auflösung über sehr große Längen- und Zeitskalen ermöglichte. Wie das Team um Tobias Weber vom Institut Laue Langevin im französischen Grenoble nun mittels polarisierter Neutronenstreuung nachweisen konnte, erfolgt die Ausbreitung einer magnetischen Welle senkrecht zu solchen Skyrmionen nicht geradlinig sondern auf einer Kreisbahn.
Grund hierfür ist, dass die Richtung benachbarter magnetischer Momente und damit die Richtung der Achse, um die die Kreiselbewegung erfolgt, sich kontinuierlich ändert. Analog dazu ändert sich bei der Fortpflanzung der Kreiselbewegung von einem magnetischen Moment zum nächsten senkrecht zu einem magnetischen Wirbelschlauch auch die Ausbreitungsrichtung kontinuierlich. Der Radius und die Richtung der Kreisbahn der Ausbreitungsrichtung hängt dabei von der Stärke und der Richtung der Verkippung der magnetischen Momente ab. „Damit jedoch nicht genug“, sagt Markus Garst vom Karlsruher Institut für Technologie, der die theoretische Beschreibung der magnetischen Wellenbewegung und ihre Kopplung an Neutronen schon vor länger Zeit ausgearbeitet hatte. „Es gibt eine enge Analogie zwischen der kreisförmigen Ausbreitung von Spinwellen in einem Skyrmionengitter und der Bewegung eines Elektrons aufgrund der Lorentzkraft senkrecht zu einem Magnetfeld.“
Bei sehr tiefen Temperaturen, wenn die Kreisbahnen geschlossen sind, ist ihre Energie quantisiert. Vor fast hundert Jahren vom russischen Physiker Lev Landau vorhergesagt, ist dieses Phänomen für Elektronen seit langem als Landau-Quantisierung gut bekannt. Dabei lässt sich der Einfluss der Wirbelstruktur auf die Spinwellen elegant durch ein fiktives Magnetfeld interpretieren. Das heißt, das sehr komplizierte Wechselspiel der Spinwellen mit der Skyrmionenstruktur ist letztlich genauso einfach wie die Bewegung von Elektronen in einem echten Magnetfeld zu verstehen. Auch die Ausbreitung der Spinwellen senkrecht zu den Skyrmionen zeigt eine solche Quantisierung der Kreisbahnen. Die charakteristische Energie der Spinwelle ist damit ebenfalls quantisiert, was völlig neue Anwendungen verspricht.
Zusätzlich ist die Kreisbahn aber auch noch in sich verdrillt, ähnlich wie bei einem Möbiusband. Sie ist topologisch nicht-trivial: Nur durch Zerschneiden und neu Zusammenfügen ließe sich die Verdrillung entfernen. All dies führt zu einer besonders stabilen Bewegung der Welle.„Die experimentelle Bestimmung der Spinwellen in Skyrmionengittern erforderte sowohl eine Kombination weltweit führender Neutronenspektrometer als auch eine massive Weiterentwicklung der Software zur Deutung der Daten“, erläutert Peter Böni.
Die Bewegung von Spinwellen auf Kreisbahnen, die noch dazu quantisiert sind, ist jedoch nicht nur aus Sicht der Grundlagenforschung ein Durchbruch. So betont Christian Pfleiderer vom Zentrums für QuantenEngineering der TUM: „Die spontane Bewegung von Spinwellen auf Kreisbahnen, deren Radius und Richtung durch Skyrmionen-Wirbelstrukturen entsteht, eröffnet eine neue Perspektive, um funktionelle Bauteile für die Informationsverarbeitung in den Quantentechnologien zu realisieren, wie beispielsweise einfache Koppler zwischen Qubits in Quantencomputern.“
TUM / JOL