17.05.2017

Erdbeben in Istanbul überfällig

Geophysiker erwarten ein Starkbeben der Magnitude 7 in der Region des Marmara-Meeres.

Istanbul bereitet Erdbeben­forschern große Sorge. Die 15-Millionen-Metro­pole liegt sehr nahe an der Nord­anato­lischen Ver­werfungs­­zone, die vor den Toren der Stadt unter­halb des Marmara-Meeres verläuft. Dort staut sich Energie im Unter­grund, weil sich Erd­platten ineinander verhaken und die Bewegung aufge­halten wird – so lange, bis ein großes Beben diese Energie freisetzt. Für die kommenden Jahre rechnet die Wissen­schaft mit einem Beben der Magni­tude 7 oder größer in dieser Region.

Abb.: Marmara-Region im Nordwesten der Türkei: Unterhalb des Marmara-Meeres verläuft die Nordanatolische Störungszone, entlang derer ein Erdbeben der Magnitude 7 oder stärker überfällig ist. (Bild: C. Wollin, GFZ)

Ent­scheidend für die seis­mische Gefährdung der tür­kischen Groß­stadt wird sein, wie stark die Platten verhakt sind und wo genau das Erdbeben seinen Ursprungs­ort haben wird. Ein Team um Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungs­zentrum GFZ geht davon aus, dass das nächste große Beben eher im öst­lichen Marmara-Meer von Istan­bul beginnen wird. „Das bedeutet eine gute und eine schlechte Nachricht für die Millionen­stadt“, sagt Bohnhoff. Die Gute: „ Die Bruch­ausbreitung wird dann in öst­licher Richtung ver­laufen, also weg von Istanbul“, erläutert der Forscher. „Die schlechte Nachricht ist, dass es nur eine kurze Früh­warnzeit von wenigen Sekunden Dauer geben wird.“ Frühwarn­zeiten sind wichtig, um etwa Ampeln auf Rot zu schalten, Tunnels und Brücken zu sperren oder kri­tische Infra­struktur abzu­schalten.

Die Ein­schätzung des Teams um Bohnhoff beruht auf der Analyse zahl­reicher kleiner Beben entlang der Marmara-Störung. Demnach ist der Grad der Ver­hakung im west­lichen Teil der Bruch­zone geringer und die zwei Erdkrusten­platten kriechen dort partiell ganz langsam an­einander vorbei. Dabei kommt es dann immer wieder zu kleinen Erdstößen gleicher Signa­tur. Weiter östlich vor Istanbul hingegen werden keine dieser Repeater beobachtet und die Platten scheinen dort komplett verhakt zu sein. Die tek­tonische Energie staut sich also auf. Die Gefahr, dass es ein großes Erd­beben gibt, nimmt zu.

Möglich gemacht hat diese Beo­bachtung ein neuer hoch­präziser Seismizitäts­katalog für die Region. Die Forscher haben dazu die Beben­tätigkeit minutiös ausge­wertet, indem sie erstmals die beiden großen tür­kischen Erdbeben-Mess­netze und Mess­daten aus dem GFZ-Platten­randobserva­torium als deutsch-türkisches Kooperations­projekt mit­einander kombi­nierten. „Auf diese Weise haben wir wieder­kehrende Erdbeben unter­halb des west­lichen Marmara­meeres gefunden“, sagt Bohnhoff. „Daraus leiten wir ab, dass die beiden Platten dort zu einem beträcht­lichen Teil – 25 bis 75 Prozent – an­einander vorbei­kriechen, also weniger Energie akku­mulieren, als wenn sie komplett verhakt wären.“

Und was wäre, wenn es doch unter­halb des west­lichen Marmara­meeres zu dem befürch­teten starken Beben käme? „Auch da gäbe es eine gute und eine schlechte Nachricht“, sagt Bohnhoff. Gut wäre eine etwas längere Frühwarn­zeit, schlecht wäre der Umstand, dass die Bruch­ausbreitung dann in Richtung Istanbul erfolgen würde und es dort zu schwereren Erschüt­terungen kommen würde als wenn der Bruch­beginn weiter östlich läge. Die der­zeitige Daten­lage jedoch lässt das Gegen­teil vermuten: ein Beben mit einem Epi­zentrum vor den Toren der Stadt, das den Menschen zwar nur wenig Zeit lässt, sich zu schützen, das dafür aber weniger starke Boden­bewegungen auslöst.

GFZ / JOL

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen