Erfolgreicher Nachweis eines Phonoritons
Synthese des Drei-Komponenten-Teilchen aus Exzitonen, Phononen und Photonen geglückt.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg und dem Massachusetts Institute of Technology berichten, dass mithilfe von eingefangenem Licht Phonoritonen in einem Festkörper erzeugt werden können. Diese neuartigen Teilchen bestehen aus drei Komponenten: Licht (Photonen), elektronischen Anregungen (Exzitonen) und Gitterschwingungen (Phononen). Die Nutzung von Licht in Hohlräumen stellt einen völlig neuen Ansatz für die Veränderung der Materialeigenschaften dar, denn das Licht erzeugt so neue Wechselwirkungen zwischen den mikroskopischen Komponenten.
Das Forscherteam zeigt, dass sich mithilfe von Licht auf engstem Raum die Kopplung zwischen elektronischen Anregungen und der Vibration der Kerne steuern lässt – mit bemerkenswerten Effekten. So lässt sich die Lichtabsorption des Materials durch die Steuerung dieses Kopplungsprozesses verändern. Diese Erkenntnisse verdeutlichen das enorme Potenzial von eingefangenem Licht für die Steuerung der Wechselwirkungen zwischen den mikroskopischen Komponenten eines Materials. Die Theoriegruppe des MPSD entwickelt innovative Materialdesign-Ansätze, wie zum Beispiel das Engineering von Materialeigenschaften über die starke Kopplung zwischen Licht und Materie, die erreicht werden kann, wenn ein Material in einem Hohlraum platziert wird. Die beiden Metallplatten des Hohlraums wirken als Spiegel, begrenzen das Licht so in dem engen Raum und verstärken die Wechselwirkung zwischen den Photonen und den Teilchen im eingebetteten Material. So eine starke Kopplung zwischen Licht und Materieteilchen kann die Eigenschaften des Materials drastisch verändern, was neue physikalische Effekte verursacht.
In ihrer Arbeit sagen die Forscher die Entstehung eines Drei-Komponenten-Teilchens voraus, das durch die Mischung von Exzitonen, Phononen und Photonen im Inneren eines Hohlraums entsteht. Dieses Licht-Materie-Hybridteilchen, Phonoriton genannt, wurde bereits vor mehr als drei Jahrzehnten von Ivanov und Keldysh vorhergesagt. Bislang konnte es jedoch nicht nachgewiesen werden, weil es ursprünglich im Rahmen der Laserphysik für Laser vorgeschlagen wurde, die so stark sind, dass sie das Material einfach zerstören würden. Die Verwendung eines Hohlraums zur Verstärkung der Kopplung von Licht mit Materie löst nicht nur das Problem der zu starken Laser, sondern rückt auch das lange vorhergesagte Phonoriton in Festkörpern in den Bereich experimentell realisierbarer Bedingungen und ermöglicht so die Beobachtung des ersten Drei-Komponenten-Teilchens in Festkörpern. Das Team weist jedoch nicht nur die Existenz des Phonoritons nach, sondern liefert auch experimentell messbare Signaturen, die in der optischen Absorption beobachtet werden können und die helfen können, das neuartige Licht-Materie-Teilchen eindeutig zu identifizieren.
Diese Erkenntnisse sind bedeutsam, weil sie einen neuen Ansatz für die Untersuchung von Anregungen in Materialien aufzeigen, die bisher nur mit höchstens zwei konstituierenden Teilchen wie Polaronen, Exzitonen, Polaritonen oder Plasmaronen in Verbindung gebracht wurden. Das Phonoriton-Paradigma öffnet diesen Zoo von Quasiteilchen für viele neuartige Mitglieder, die aus Dreierkombinationen entstehen. „Diese Arbeit ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie Licht als Werkzeug genutzt werden kann, um Wechselwirkungen zwischen den mikroskopischen Komponenten der Materie zu erzeugen“, sagt Simone Latini, ein Postdoktorand am MPSD. „Eine experimentelle Verifizierung unserer Vorhersagen wäre extrem spannend. Unsere experimentellen Kollegen und Kolleginnen arbeiten bereits daran und wir können es kaum abwarten, ihre Ergebnisse zu sehen!“
„Ich bin begeistert von diesem neuen Ansatz, Wechselwirkungen in Festkörpern durch die Kombination bekannter Anregungen zu erzeugen", ergänzt Hannes Hübener, Gruppenleiter in der MPSD-Theorieabteilung. Auch MPSD-Gruppenleiter Umberto de Giovannini sieht die Ergebnisse als einen Durchbruch: „Es ist großartig, einem Teilchen neues Leben einzuhauchen, das zwar vor langer Zeit von Ivanov und Keldysh vorgeschlagen, aber nie wirklich beobachtet wurde. Diese ständige Arbeit des Überprüfens und Verfeinerns bekannter Begriffe sowie der gegenseitige Überarbeitung von Konzepten ist die Essenz der Wissenschaft.“ Das Team glaubt, dass diese Studie das volle Potenzial der Hohlraummaterietechnik nur im Ansatz enthüllt. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse die wissenschaftliche Gemeinschaft motivieren werden, noch tiefer in die Materie einzutauchen und spannende neue Effekte zu enthüllen.
MPSD / JOL