Exotische Schwingungen in neuen Materialien
Auf der Spur von Schwingungszuständen zwischen Kohlenstoffketten und Nanoröhren.
Für das Design zukünftiger Materialien ist es wichtig zu verstehen, wie Materie quantenmechanisch miteinander wechselwirkt. Bisher unerklärbare Schwingungszustände zwischen Kohlenstoffketten (Carbyne) und Nanoröhren gaben Materialwissenschafterinnen und -wissenschaftlern Rätsel auf. Nun gelang es Forschenden aus Österreich, Italien, Frankreich, China und Japan unter Leitung der Universität Wien mithilfe der Raman-Spektroskopie, innovativen theoretischen Modellen und dem Einsatz von Machine Learning diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Die neuen Resultate zeigen die universelle Anwendbarkeit von Carbyne als Sensor aufgrund seiner Sensibilität gegenüber äußeren Einflüssen.

Vor neun Jahren gelang es der Forschungsgruppe von Thomas Pichler an der Universität Wien zur Überraschung der wissenschaftlichen Community erstmalig Carbyne, eine lineare Kette aus Kohlenstoffatomen, in Kohlenstoffnanoröhrchen zu stabilisieren. Carbyne, das bisher nur in einer Tube nachgewiesen wurde, besitzt kontrollierbare elektronische Eigenschaften, wesentlich für die Halbleitertechnologie, und könnte das stärkste bekannte Material in Bezug auf seine Zugfestigkeit sein. In ihrem Experiment beobachtete das Team einen unerwarteten Systemzustand, der mit dem gängigen Erklärungsmodell nicht übereinstimmte und der zum damaligen Zeitpunkt völlig unverstanden war.
Nun haben die Forschenden diesen nicht erklärbaren Systemzustand genauer unter die Lupe genommen. Mithilfe eines innovativen theoretischen Modells, das nur aufgrund der jüngsten Durchbrüche im Machine Learning angewandt werden konnte, gelang es eine Erklärung für die in den Laboren beobachteten neuartigen Wechselwirkungen zwischen Kette und Nanotube zu finden, die zunächst paradox scheint. „Die Kette und der Nanotube sind zwar elektronisch isoliert und tauschen damit keine Elektronen aus, unterliegen jedoch einer unerwartet starken Kopplung der Schwingungen der beiden Nanostrukturen“, sagt Emil Parth von der Universität Wien.
Mit anderen Worten: Carbyne und Nanotube sprechen elektronisch miteinander, während sie gleichzeitig elektronisch isoliert sind. Diese quantenmechanische Kopplung von Schwingungen ist in der Regel vernachlässigbar, ist aber in diesem speziellen Fall aufgrund der intrinsischen elektronischen Eigenschaften und strukturellen Instabilität der Kette überragend stark. Das macht die Kette auch so interessant, da sie stark auf äußere Einflüsse reagiert. Sie wechselwirkt also stark mit dem sie umgebenden Nanoröhrchen.
Die neue Studie zeigt, dass diese Wechselwirkung überraschenderweise nicht einseitig ist, da das Carbyne auch die Eigenschaften der Nanoröhre verändert, allerdings anders als bisher angenommen. „Die Sensibilität gegenüber äußeren Einflüssen von Carbyne ist entscheidend für seine mögliche Anwendung in zukünftigen Materialien und Geräten als kontaktloser optischer Sensor im Nanomaßstab zum Beispiel als lokaler Temperatursensor für Wärmetransportmessungen“, sagt Thomas Pichler, Leiter der Forschungsgruppe.
U. Wien / JOL