18.09.2020

Extrem überhitztes Wasser

Starke Röntgenpulse heizen flüssiges Wasser ultraschnell auf bis zu 170 Grad Celsius auf.

Mit dem europäischen Röntgenlaser European XFEL hat ein Forscher­team untersucht, wie sich Wasser unter Extrem­bedingungen aufheizt. Dabei konnten die Wissenschaftler Wasser beobachten, das selbst bei mehr als 170 Grad Celsius noch flüssig blieb. Die Untersuchung zeigt ein anomales dynamisches Verhalten von Wasser unter diesen Bedingungen. Die Ergebnisse der Studie haben grund­legende Bedeutung für die Planung und Analyse von Unter­suchungen empfindlicher Proben per Röntgen­laser. 
 

Abb.: Die Röntgen­blitze (violett) erhitzen nicht nur das Wasser (rot-weiße...
Abb.: Die Röntgen­blitze (violett) erhitzen nicht nur das Wasser (rot-weiße Moleküle), sondern erzeugen auch ein Streubild (Hinter­grund), aus dem sich der Zustand der Probe nach jedem Blitz ablesen lässt. (Bild: DESY, B. Liebaug)

European XFEL, eine internationale Forschungs­einrichtung, die sich vom DESY-Gelände in Hamburg bis ins benachbarte Schenefeld in Schleswig-Holstein erstreckt, steht für den leistungs­fähigsten Röntgenlaser der Welt. Er kann bis zu 27.000 intensive Röntgenblitze pro Sekunde erzeugen. Für ihre Versuche verwendeten die Forscher Serien von jeweils 120 Blitzen. Die einzelnen Blitze hatten dabei einen Abstand von genau 0,886 Mikrosekunden. Diese Pulszüge schickten die Wissenschaftler in ein dünnes, wasser­gefülltes Quarz­glas­röhrchen und beobachteten die Reaktion des Wassers.

„Wir haben uns gefragt, wie lange und wie stark sich Wasser im Röntgenlaser aufheizen lässt und ob es sich dann immer noch wie Wasser verhält“, erläutert Felix Lehmkühler von DESY. „Funktioniert es zum Beispiel auch bei hohen Temperaturen noch als Kühlmittel?“ Ein detailliertes Verständnis von überhitztem Wasser ist zudem von essenzieller Bedeutung für eine Vielzahl von Untersuchungen an hitze­empfindlichen Proben, etwa Polymeren oder biologischen Proben.

„Mit den Röntgenblitzen konnten wir das Wasser innerhalb einer zehntausendstel Sekunde auf bis zu 172 Grad Celsius aufheizen, ohne dass es verdampft ist“, berichtet Lehmkühler. Ein solcher Siedeverzug lässt sich normaler­weise nur bis etwa 110 Grad Celsius beobachten. „Das ist jedoch nicht die einzige Besonderheit“, betont der Physiker. Die Forscher untersuchten die Bewegung von Silizium­dioxid-Nanokügelchen als Marker für die Dynamik im Wasser. „In dem extrem über­hitzten Wasser haben wir beobachtet, dass die Bewegung der Silizium­dioxid-Nanokügelchen deutlich von der erwarteten zufälligen Brownschen Molekular­bewegung abwich. Das deutet auf ein ungleich­mäßiges Aufheizen der Probe hin“, sagt Lehmkühler. Existierende theoretische Modelle können dieses Verhalten noch nicht befriedigend erklären, weil sie nicht für Wasser unter diesen extremen Bedingungen ausgelegt sind.

Dank der schnellen Blitzfolge des European XFEL konnten die Forscher den Ablauf sehr genau beobachten. „Mit der hohen Wiederholrate, der Zahl der Blitze pro Sekunde, ist der European XFEL weltweit einzigartig“, erklärt Adrian Mancuso, Leiter der die Experimentier­station SPB/SFX am European XFEL, an der die Versuche statt­gefunden haben. „Und wir haben alles vor Ort was für diese Experimente benötigt wird – Kameras, Mess­geräte und anderes.“ So kann etwa der unter Führung von DESY entwickelte Adaptive Gain Integrating Pixel Detector (AGIPD) rund 350 Serienbilder im Abstand von nur 220 Nano­sekunden aufnehmen.

Mit diesem Aufbau ließ sich nicht nur das extrem überhitzte Wasser erzeugen, sondern die Wissenschaftler konnten auch genau kontrollierte Versuchs­reihen mit Röntgenblitzen reduzierter Intensität durchführen. „Mit Hilfe von Silizium­scheiben als Filter haben wir die Energie der Pulse sehr fein abgestimmt, so dass wir exakt steuern konnten, wie stark das Wasser aufgeheizt wird“, berichtet Lehmkühler. „So konnten wir beispielsweise bestimmen, wie stark die Röntgen­blitze sein dürfen, damit die Temperatur einer wässrigen Probe in etwa konstant bleibt.“

Damit können Forscher etwa Experimente mit hitze­empfindlichen Proben am Röntgen­laser besser planen. Der Heizeffekt lässt sich andererseits auch gezielt einsetzen, wenn man seinen genauen Verlauf kennt. Diese Effekte will das Team unter anderem im Rahmen des Centre for Molecular Water Science (CMWS) weiter untersuchen, das derzeit bei DESY entsteht.

„Unsere Ergebnisse liefern nicht nur die überraschende Beobachtung einer anomalen Dynamik, sondern zeichnen auch ein detailliertes Bild davon, wie sich wässrige Proben im Röntgen­laser erwärmen“, fasst Forschungs­leiter Gerhard Grübel von DESY zusammen, einer der CMWS-Koordinatoren. „Zudem zeigen die Untersuchungen, dass solche Reihen­aufnahmen am European XFEL möglich und die Blitze in jedem Puls­zug extrem gleichförmig sind.“

DESY / DE
 

Weitere Infos

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen