Exzitonen auf Gegenkurs
Physiker verfolgen das Leuchten mobiler Quasiteilchen in dünnen Schichten.
Eine extrem ungewöhnliche Teilchenbewegung in atomar-dünnen Halbleitern wurde durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien – erstmals experimentell bestätigt: Elektronische Quasiteilchen – Exzitonen – scheinen sich demnach gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen. Ausprägungen dieses neuartigen Quantenphänomens konnten Alexey Chernikov und sein Team an der Technischen Universität Dresden mittels extrem schneller Mikroskopie bei ultratiefen Temperaturen sichtbar machen. Den Forschenden ist es gelungen, das Leuchten mobiler Exzitonen nachzuverfolgen. Mit ihrer Entdeckung rückt der Quantentransport exzitonischer Vielteilchenzustände in den Fokus moderner Forschung.
Exzitonen verhalten sich wie eigenständige Teilchen und können Licht hocheffizient aufnehmen und abgeben. In atomar-dünnen Schichten sind sie von etwa minus 268° Celsius sogar bis zu Raumtemperatur stabil. Zu seinem aktuellen Forschungsprojekt, das die Bewegung von Exzitonen in ultradünner Materie in den Fokus nimmt, erklärt Chernikov: „Exzitonen sind eine Art bewegliche Lichtquellen, die wie andere quantenmechanische Objekte sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften besitzen und sich in atomar-dünnen Schichten ausbreiten. Damit können sie sowohl Energie als auch Informationen speichern und transportieren, diese aber auch als Licht wieder abgeben. Das macht sie für uns besonders interessant.“
Mit hochsensitiver optischer Mikroskopie wurden die ultraschnellen Bewegungen der Exzitonen in atomar-dünnen Halbleitern sichtbar gemacht: „Zunächst haben wir einen sehr kurzen Laserimpuls auf die Materialschicht gegeben und damit die Exzitonen erzeugt. Anschließend beobachteten wir mit einem superschnellen Detektor, wann und wo das Licht wieder ausstrahlt. Als wir aber die Experimente bei sehr tiefen Temperaturen wiederholten, war die Bewegung der Quasiteilchen wirklich verblüffend“, so Chernikov. Bisher kannte die Fachwelt vor allem zwei mögliche Arten der Bewegung für Exzitonen: Entweder „springen“ diese von einem Molekül zum anderen – oder sie bewegen sich ganz „klassisch“ wie Billardkugeln, die durch zufällige Stöße ihre Richtung ändern. „In den ultradünnen Halbleitern haben sich die Exzitonen so verhalten, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Die einzig mögliche Erklärung war, dass sich die Exzitonen in Ringschleifen zur gleichen Zeit in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Ein solches Verhalten kannte man zwar von einzelnen Elektronen. Dies allerdings bei leuchtenden Exzitonen experimentell zu beobachten – das war ganz ungewöhnlich“, betont Chernikov.
Nachdem alle Kontrollexperimente das Ergebnis ebenfalls bestätigten, suchten die Wissenschaftler nach der Ursache für ihre ungewöhnliche Beobachtung. Mikhail M. Glazov vom Ioffe Institut in Sankt Petersburg lieferte den Schlüssel: Glazov beschreibt, wie sich Exzitonen in atomar-dünnen Halbleitern auf abgeschlossenen, ringartigen Bahnen bewegen und für eine Weile einen überlagerten Zustand einnehmen können. Dies bedeutet, dass sich das Exziton in diesem Moment zugleich im und gegen den Uhrzeigersinn zu bewegen scheint. Dieser Effekt ist ein rein quantenmechanisches Phänomen, welches es bei klassischen Teilchen nicht gibt. Gemeinsam mit dem Team von Ermin Malic von der Philipps-Universität Marburg, das weitere Einblicke in die Dynamik von Exzitonen lieferte, konnten die Wissenschaftler dem ungewöhnlichen Verhalten auf die Spur kommen.
Das Team von Alexey Chernikov hat gemeinsam mit internationalen Kollegen einen Weg aufgezeigt, um quantenmechanische Effekte in der Bewegung wechselwirkender Vielteilchenkomplexe experimentell nachzuweisen. Dennoch steht die Erforschung des Quantentransportes exzitonischer Quasiteilchen noch ganz am Anfang. In Zukunft könnten Materialien wie die von Chernikov untersuchten ultradünnen Schichten eine Basis für neuartige Laserquellen, Lichtsensoren, Solarzellen oder auch Bausteine für Quantencomputer sein.
TU Dresden / JOL