04.05.2018

Feste Flüssigkeiten

Suspensionen rauer Partikel zeigen sprunghaften Anstieg der Viskosität.

Im Internet findet man Videos, in denen Leute ihren Spaß haben, über weissen Schlamm zu rennen. Fast sieht es aus, als könnten sie über Wasser gehen. Bleiben die Personen jedoch stehen, versinken sie langsam. Bei dem Schlamm handelt es sich in der Regel um eine konzen­trierte Suspension aus Maisstärke und Wasser. Nach einem in Amerika bekannten Kinderbuch­klassiker wird eine solche Masse umgangs­sprachlich „Ooblek“ genannt, Material­wissenschaftler nennen es eine nicht-newtonische Flüssigkeit. Anders als newtonische, normale Flüssigkeiten kann sie viskoser werden, wenn eine schnell ändernde, starke Kraft auf sie einwirkt. Für einen kurzen Moment verhält sie sich wie ein Festkörper. Wirkt die Kraft hingegen stetig und schwach, fließt sie wie eine normale Flüssig­keit.

Abb.: Raue und glatte Partikel in einer Suspension: Ihr Mischverhältnis beeinflusst den Zeitpunkt des sprunghaften Anstiegs der Viskosität. (Bild: C.-P. Hsu, ETHZ)

„Dieses Phänomen tritt bei allen Suspen­sionen mit hoher Teilchen­dichte auf, etwa auch bei Zement“, sagt Lucio Isa, Professor für Grenz­flächen an der ETH Zürich. Wird Zement mit zu hoher Geschwin­digkeit durch eine Röhre auf eine Baustelle gepumpt, verstopft die Röhre. Der Grund dafür liegt unter anderem in der Oberflächen­beschaffenheit der festen Suspensions­anteile: „Wirkt eine Kraft plötzlich können die festen Partikel nicht schnell genug ausweichen. Sie kommen mit­einander in Kontakt, reiben sich aneinander und blockieren sich gegen­seitig.“ Je rauer die Ober­fläche der Teilchen, desto höher ist die Reibung.

Die Forscher nutzten nun diese Eigen­schaften, um den sprung­haften Anstieg der Viskosität in einer konzen­trierten Suspension gezielt zu steuern. Statt mit Maisstärke experimen­tierten Isa und seine Kollegen mit einheit­lichen mikrometer­großen Silikat­partikeln mit rauer Oberfläche. Die Partikel gleichen winzigen Himbeeren. Chiao-Peng Hsu, Doktorand von Isa und seinem Kollegen Nicholas Spencer, erarbeitete eine Methode, mit der er in kurzer Zeit eine ganze Bibliothek verschie­dener solcher Himbeer­partikel mit unter­schiedlich rauer Oberfläche erstellen kann. Mit diesen Partikeln stellten die Forscher Suspen­sionen her, die sie auf deren plötz­lichen Viskositäts­anstieg unter Kraft­einwirkung testeten. Dabei zeigte sich: je rauer die Partikel waren, desto weniger von ihnen mussten die Forscher in eine Suspension geben, um die sprung­hafte Verfestigung zu erzielen. Hatten Partikel hingegen eine glatte Oberfläche, mussten die Forscher größere Mengen davon der Suspension hinzufügen, bis sie die plötzliche Verfes­tigung beobachten konnten.

Dank rauen Partikeln lässt sich gemäß den Forschern Material sparen: Ihr Anteil am Gesamt­volumen einer Suspension kann wesentlich tiefer liegen als derjenige von glatten Partikeln, um den gleichen Effekt zu erzielen. Mischten die Forscher raue und glatte Partikel in einer Suspen­sion, trat die Verfes­tigung ebenfalls früher auf als in Suspen­sionen, in denen nur glatte Partikel vorlagen. Die Forscher fanden heraus, dass nur gerade sechs Prozent glatte Kügelchen in einer Mischung ausreichten, um den Zeitpunkt des sprung­haften Viskositäts­anstiegs markant zu verzögern. „Das ist, wie wenn man Kugellager­kugeln und Zahnräder mische“, sagt Isa. „Die Zahnräder verhaken sich relativ leicht und bilden eine stabile Kette. Die glatten Kügelchen können diese jedoch durch­brechen und erleichtern dadurch das Fliessen der Suspen­sion.“

Um zu untersuchen, wie groß die Reibung zwischen einzelnen Partikeln ist, befestigten Hsu und seine Kollege Shiva­prakash Rama­krishna ein einziges, einen halben Mikrometer messendes Partikel auf einem Canti­lever eines Atom­rasterkraft­mikroskops. Dieses Partikel bewegten die Forschenden über unter­schiedlich raue Modell-Oberflächen, indem sie den Canti­lever um wenige hundert Nanometer verschoben und dabei massen, um wie viele Grad der Canti­lever kippte. Je stärker die Reibung, desto größer war der Verkippungs­winkel . „Mit einem solchen Partikel auf einem Canti­lever zu arbeiten, war extrem schwierig, da die Dime­nsionen unvorstellbar klein sind“, betont Hsu. „Das hat vor uns noch keine Gruppe geschafft.“

Ob die Erkenntnisse in Anwen­dungen einfließen, ist derzeit nicht klar. Die Studie diente in erster Linie der Grundlagen­forschung. „Unser Ziel war zu untersuchen, wie wir die Nano- und Mikro­struktur verändern können, um das Material­verhalten auf makro­skopischer Ebene zu beein­flussen. Das ist uns gelungen“, sagt Isa. Die Erkennt­nisse könne man an sich auf All­tägliches wie Zement übertragen. „Wenn man die Ober­flächen von Körnern und deren Mischung im Zement unseren Erkennt­nissen gemäß anpassen könnte, kann man dessen Fließeigen­schaften optimieren.“ Dick­flüssige Suspen­sionen mit sprung­hafter Verfestigung werden aber auch für andere Zwecke gebraucht, zum Beispiel nutzt ein ameri­kanischer Hersteller dick­flüssige Suspen­sionen, um schuss- und stich­feste Sicherheits­westen zu entwickeln. „Unsere Studie könnte einen Beitrag dazu leisten, solche Anwen­dungen zu verbessern“, betont Isa.

ETHZ / JOL

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