Feuerräder trotzen dem Strahlungsinferno
Überraschende Entdeckung in Sternhaufen nahe des Milchstraßen-Zentrums.
Ein Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat im Zentrum der Milchstraße ein ungewöhnliches Phänomen entdeckt: In Haufen aus sehr großen und heißen Sternen beobachteten sie jeweils rund zwanzig rotierende Staub- und Gasscheiben, die die Sonnen umkreisen. Eigentlich dürften die Scheiben dort gar nicht vorkommen, weil sie angesichts der herrschenden UV-Strahlung binnen einer Million Jahre verdampfen sollten. Die Wissenschaftler rätseln nun, wie die rotierenden Scheiben diese widrigen Bedingungen überstehen.
Abb.: Andrea Stolte (r.) und Maryam Habibi vom AIfA vor dem Very Large Telescope „Yepun“ der ESO (; Bild: A. Stolte)
Beim Zentrum der Milchstraße handelt es sich um eine Art Kreißsaal: Dort entstehen aus Materiewolken besonders viele Sterne, die sich zu Haufen zusammenballen. Quintuplet und Arches heißen zwei dieser Sternansammlungen, die in den vergangenen Jahren in den Fokus eines Forscherteams unter Federführung der Uni Bonn rückten. Beide Sternhaufen sind wenige Millionen Jahre jung und enthalten Sterne mit mehr als hundert Sonnenmassen. „Eigentlich sollte die enorme Strahlungsenergie dieser Riesen das umgebende Gas- und Staub-Material ihrer kleineren Nachbarn binnen einer Million Jahre verdampfen“, sagt Andrea Stolte vom Argelander-Institut für Astronomie.
Doch mit dem MPI für Astronomie, dem Astronomischen Recheninstitut der Uni Heidelberg und US-Kollegen aus Los Angeles, Honolulu, Dearborn und Baltimore entdeckte Stolte mehrere rotierende Staubscheiben, die die Sterne in Quintuplet und Arches umgeben. „In einer solch aggressiven Umgebung haben wir keine zirkumstellaren Scheiben erwartet, dennoch haben wir mehr als zwanzig Scheiben in jedem der beiden Haufen beobachtet“, sagt Stolte, die das Projekt koordinierte. Diese überraschende Entdeckung widerspreche den gängigen Theorien und deute darauf hin, dass es dort zu unbekannten Prozessen kommt.
Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in der chilenischen Atacamawüste und dem Hubble-Weltraumteleskop konnten die Wissenschaftler das seltsame Phänomen beobachten. „Im Bereich des sichtbaren Lichts könnten wir nicht durch die Staubansammlungen ins Zentrum der Milchstraße blicken“, erklärt Maryam Habibi. Jedoch gelang dies den Forschern, indem sie mit den beiden Teleskopen die Infrarotstrahlung aus diesem Gebiet einfingen. Habibi hat im Rahmen des Projekts ihre Dissertation in der Emmy-Noether-Gruppe an der Uni Bonn abgeschlossen.
Abb.: Die Wind- und Strahlungskräfte der schweren Sterne im Quintuplet-Haufen haben eine Art Höhle in die umgebenden Gaswolken gefressen (im Bild durch Pfeile angedeutet). Auf ähnliche Weise werden auch die Staubscheiben um nahe Sterne in dieser strahlungsreichen Umgebung angegriffen. (; Bild: HST/Spitzer composite: NASA / ESA / D.Q. Wang, U. Mass. / NASA-JPL, S. Stolovy)
Die Wissenschaftler rätseln nun, wie es den rotierenden Scheiben gelingt, trotz des Höllenfeuers der Riesensterne in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu existieren. Aus Sicht der Astronomen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder haben die kreiselnden Staub- und Gasscheiben wider Erwarten die Widerstandskraft, die dort herrschenden unwirtlichen Bedingungen für mehrere Millionen Jahre zu überstehen. Oder es gibt einen bislang unbeobachteten Mechanismus: In dem Maße, wie die Staub- und Gasscheiben durch die UV-Strahlung verdampfen, könnten enge Nachbarn Material in die Scheibe ihres kleineren Begleiters nachliefern. Dr. Stolte hält letztere Theorie für die wahrscheinlichere: „Wir kennen noch nicht alle Prozesse, die in diesen dicht besiedelten Sternhaufen ablaufen, aber der in anderen jungen Gebieten häufig beobachtete Massenfluss zwischen Doppelsternen könnte hierbei eine Rolle spielen.“
Damit rückt ein weiteres Phänomen in den Mittelpunkt, das in diesen Zonen der Milchstraße bislang für unmöglich gehalten wurde: Wenn dort trotz aggressivster Bedingungen Scheiben aus Staub und Gas vorkommen, könnten auch Voraussetzungen herrschen, in denen neue Planeten entstehen. „Wenn genug Material vorhanden ist – wer weiß?“, überlegt Stolte. Das ist aber noch Spekulation. So oder so – aus ihrer Sicht bietet das Zentrum der Milchstraße genug Anlässe für die Wissenschaft, zu weiteren neuen und überraschenden Erkenntnissen in der Astronomie zu gelangen.
RFWU / OD