11.03.2015

Feuerräder trotzen dem Strahlungsinferno

Überraschende Entdeckung in Sternhaufen nahe des Milch­straßen-Zentrums.

Ein Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat im Zentrum der Milchstraße ein ungewöhnliches Phänomen entdeckt: In Haufen aus sehr großen und heißen Sternen beobachteten sie jeweils rund zwanzig rotierende Staub- und Gasscheiben, die die Sonnen umkreisen. Eigentlich dürften die Scheiben dort gar nicht vorkommen, weil sie angesichts der herrschenden UV-Strahlung binnen einer Million Jahre verdampfen sollten. Die Wissen­schaftler rätseln nun, wie die rotie­renden Scheiben diese widrigen Bedingungen überstehen.

Abb.: Andrea Stolte (r.) und Maryam Habibi vom AIfA vor dem Very Large Telescope „Yepun“ der ESO (; Bild: A. Stolte)

Beim Zentrum der Milchstraße handelt es sich um eine Art Kreißsaal: Dort entstehen aus Materie­wolken besonders viele Sterne, die sich zu Haufen zusammenballen. Quintuplet und Arches heißen zwei dieser Stern­ansammlungen, die in den vergangenen Jahren in den Fokus eines Forscher­teams unter Feder­führung der Uni Bonn rückten. Beide Sternhaufen sind wenige Millionen Jahre jung und enthalten Sterne mit mehr als hundert Sonnen­massen. „Eigentlich sollte die enorme Strahlungs­energie dieser Riesen das umgebende Gas- und Staub-Material ihrer kleineren Nachbarn binnen einer Million Jahre verdampfen“, sagt Andrea Stolte vom Argelander-Institut für Astronomie.

Doch mit dem MPI für Astronomie, dem Astrono­mischen Rechen­institut der Uni Heidelberg und US-Kollegen aus Los Angeles, Honolulu, Dearborn und Baltimore entdeckte Stolte mehrere rotierende Staub­scheiben, die die Sterne in Quintuplet und Arches umgeben. „In einer solch aggressiven Umgebung haben wir keine zirkum­stellaren Scheiben erwartet, dennoch haben wir mehr als zwanzig Scheiben in jedem der beiden Haufen beobachtet“, sagt Stolte, die das Projekt koordi­nierte. Diese über­raschende Entdeckung widerspreche den gängigen Theorien und deute darauf hin, dass es dort zu unbekannten Prozessen kommt.

Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in der chilenischen Atacama­wüste und dem Hubble-Weltraum­teleskop konnten die Wissen­schaftler das seltsame Phänomen beobachten. „Im Bereich des sichtbaren Lichts könnten wir nicht durch die Staubansammlungen ins Zentrum der Milch­straße blicken“, erklärt Maryam Habibi. Jedoch gelang dies den Forschern, indem sie mit den beiden Teleskopen die Infrarot­strahlung aus diesem Gebiet einfingen. Habibi hat im Rahmen des Projekts ihre Dissertation in der Emmy-Noether-Gruppe an der Uni Bonn abgeschlossen.

Abb.: Die Wind- und Strahlungskräfte der schweren Sterne im Quintuplet-Haufen haben eine Art Höhle in die umgebenden Gaswolken gefressen (im Bild durch Pfeile angedeutet). Auf ähnliche Weise werden auch die Staubscheiben um nahe Sterne in dieser strahlungsreichen Umgebung angegriffen. (; Bild: HST/Spitzer composite: NASA / ESA / D.Q. Wang, U. Mass. / NASA-JPL, S. Stolovy)

Die Wissenschaftler rätseln nun, wie es den rotierenden Scheiben gelingt, trotz des Höllenfeuers der Riesensterne in ihrer unmittelbaren Nachbar­schaft zu existieren. Aus Sicht der Astronomen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder haben die krei­selnden Staub- und Gasscheiben wider Erwarten die Wider­stands­kraft, die dort herrschenden unwirt­lichen Bedingungen für mehrere Millionen Jahre zu überstehen. Oder es gibt einen bislang unbeob­achteten Mechanismus: In dem Maße, wie die Staub- und Gasscheiben durch die UV-Strahlung verdampfen, könnten enge Nachbarn Material in die Scheibe ihres kleineren Begleiters nachliefern. Dr. Stolte hält letztere Theorie für die wahrschein­lichere: „Wir kennen noch nicht alle Prozesse, die in diesen dicht besiedelten Sternhaufen ablaufen, aber der in anderen jungen Gebieten häufig beobachtete Massenfluss zwischen Doppel­sternen könnte hierbei eine Rolle spielen.“

Damit rückt ein weiteres Phänomen in den Mittelpunkt, das in diesen Zonen der Milchstraße bislang für unmöglich gehalten wurde: Wenn dort trotz aggressivster Bedingungen Scheiben aus Staub und Gas vorkommen, könnten auch Voraussetzungen herrschen, in denen neue Planeten entstehen. „Wenn genug Material vorhanden ist – wer weiß?“, überlegt Stolte. Das ist aber noch Spekulation. So oder so – aus ihrer Sicht bietet das Zentrum der Milchstraße genug Anlässe für die Wissenschaft, zu weiteren neuen und überraschenden Erkenntnissen in der Astronomie zu gelangen.

RFWU / OD

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