03.12.2009

Fingiertes Magnetfeld bringt Wirbel ins Kondensat

Neutrale Atome im Laserlicht verhalten sich wie Elektronen in einem Magnetfeld.

Neutrale Atome im Laserlicht verhalten sich wie Elektronen in einem Magnetfeld.

An ultrakalten Kondensaten aus Atomen lassen sich zahlreiche interessante Probleme der Vielteilchenphysik studieren. So hat man an bosonischen Kondensaten in Lichtgittern den Übergang vom Isolatorzustand zur Supraflüssigkeit beobachtet. Fermionische Kondensate konnte man stetig von einem supraleitenden Zustand aus Cooper-Paaren in ein Bose-Einstein-Kondensat aus Molekülen überführen. Doch eines fehlte: In einem Magnetfeld wirkte auf die elektrisch neutralen Atome eines Kondensats bisher keine Lorentz-Kraft, so dass man an den atomaren Kondensaten z.B. den Quanten-Hall-Effekt nicht untersuchen konnte. Doch jetzt haben Forscher am NIST in Gaithersburg mit Licht ein Magnetfeld fingiert, in dem sich die Atome so bewegen, als wären sie elektrisch geladen.

Abb.: Das synthetische Magnetfeld lässt Wirbel in das Bose-Einstein-Kondensat vom Rand her eindringen. (Bild: Y.-J. Lin et al., Nature)

Um ein Magnetfeld für ungeladene Atome zu fingieren, gingen Ian Spielman und seine Mitarbeiter von folgender Überlegung aus. Für ein geladenes Teilchen wird die Phase der Wellenfunktion durch ein Magnetfeld B = rot A (mit zugehörigem Vektorpotential A) verändert. Das kommt daher, dass in der Hamiltonfunktion des Teilchens H=p2/(2m) der Impuls p durch p-qA ersetzt wird, wobei m und q die Masse bzw. die Ladung des Teilchens sind. Wenn man durch äußere Einflüsse die Hamiltonfunktion eines ungeladenen Teilchens so abändert, dass sie die Form H=(p-q*A*)2/(2m) annimmt, dann erhält auch das ungeladene Teilchen eine zusätzliche ortsabhängige Phase. Es bewegt sich dann so, als hätte es die Ladung q* und befände sich in einem Magnetfeld B* = rot A*.

Die nichttriviale Phase, die die NIST-Forscher den ungeladenen Atomen gaben, war eine Berry-Phase. Sie wurde dadurch erzeugt, dass mehrere interne Quantenzustände der Atome durch zwei Laserfelder miteinander gekoppelt wurden, wobei die Kopplungsstärke ortsabhängig war. Durchlief ein Atom einen geschlossenen Pfad, so veränderten sich seine Parameter stetig und es trat schließlich nach einem vollen Umlauf eine Phasendifferenz auf, die dem vom Pfad umschlossenen Fluss des fingierten Magnetfeldes entsprach. Für das Verhalten der Atome war es dabei egal, ob das Magnetfeld real oder fingiert war: Sie bewegten sich so, wie man es von Ladungen in einem Magnetfeld erwarten würde.

Bei ihrem Experimente erzeugten die Forscher ein Bose-Einstein-Kondensat aus ca. 250 000 Rubidium-87-Atomen, die sie in einer Dipolfalle festhielten. Die Atome waren einem ortsabhängigen realen Magnetfeld ausgesetzt, das die Zeeman-Aufspaltung der elektronischen Zustände der Atome beeinflusste. Mit zwei gekreuzten Laserstrahlen unterschiedlicher Frequenz, wurden die Zustände eines bestimmten Tripletts durch den Raman-Effekt miteinander gekoppelt. Die Zeeman-Aufspaltung hing von der ortsabhängigen Stärke des realen Magnetfeldes ab. Der Gradient des realen Magnetfeldes verursachte eine Berry-Phase, die sich auf das Vektorpotential A* eines fingierten Magnetfeldes B* zurückführen ließ.

Mit dem Gradienten des realen Magnetfeldes konnten die Forscher die Stärke des fingierten Magnetfeldes B* variieren. Um die Wirkung von B* auf das Kondensat sichtbar zu machen, schalteten die Forscher die Falle ab, ließen die Atomwolke für 10 bis 30 ms expandieren und stellten dann von ihr ein Absorptionsbild her. Je länger das fingierte Magnetfeld auf das Kondensat wirken konnte, umso mehr magnetische Flusswirbel drangen vom Rand her in die Wolke ein und bildeten Löcher, die sich als dunkle Flecken bemerkbar machten. Das Magnetfeld musste aber stärker sein als ein kritisches Feld, damit überhaupt Wirbel auftreten konnten. Das Kondensat verhielt sich tatsächlich so, als bestünde es aus geladenen Teilchen in einem Magnetfeld.

Die Wirkung von Magnetfeldern auf ungeladene Bose-Einstein-Kondensate hatte man auch schon früher fingiert, indem man die Kondensate in Drehung versetzte. Dabei traten ebenfalls Flusswirbel im Innern des Kondensats auf. Doch bei dieser Methode mussten zylindersymmetrische Fallen benutzt werden, damit die Kondensate störungsfrei rotieren konnten. Außerdem war der Rotationszustand instabil und es konnten nur sehr schwache Magnetfelder fingiert werden. Mit der neuen Methode können auch Kondensate in Lichtgittern einem fingierten Magnetfeld ausgesetzt werden, das zudem wesentlich stärker gemacht werden kann. Auf diese Weise lassen sich vielleicht schon bald Feldstärken erreichen, bei denen der Quanten-Hall-Effekt in einem atomaren Bose-Einstein-Kondensat auftreten sollte. Die Möglichkeiten, mit ultrakalten Atomen komplizierte Vielteilchenzustände zu untersuchen, haben sich durch das neue Verfahren der NIST-Forscher beträchtlich erweitert.

RAINER SCHARF

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