Flüssigkristalle unter Stress
Gezielte Erzeugung und Vernichtung topologischer Defekte im smektischen Zustand.
Manche Flüssigkristalle bilden unter geeigneten Bedingungen eine besondere Schichtenphase aus, die man „smektisch“ – abgeleitet vom griechischen Wort für „Seife“ – nennt, weil sie oft in Seifen vorkommt. In ihr ordnen sich die Makromoleküle in einer Richtung schichtenweise kristallin an. Innerhalb einer Schicht können sie sich aber wie in einer Flüssigkeit bewegen. Hartmut Löwen und René Wittmann von der Uni Düsseldorf haben zusammen mit experimentell arbeitenden Physikochemikern der Oxford University erforscht, was passiert, wenn smektischen Schichten einer extremen ringförmigen geometrischen Einschränkung ausgesetzt werden, sich also nicht frei verteilen können, sondern einer erzwungenen äußeren Form anpassen müssen. Abhängig von der genauen Geometrie der vorgegebenen Form krümmen sich die Schichten und platzen schließlich auf, oder aber sie ordnen sich senkrecht zueinander an. Am Ende einer solchen Schicht entsteht dann jeweils ein topologischer Defekt, der charakteristisch für die vorgegebene Geometrie ist.
„Spannend daran ist, dass wir so gezielt topologische Defekte im smektischen Zustand erzeugen und vernichten können“, sagt Löwen. „Das kann feinaufgelöst auf der Teilchenebene mithilfe mikrometergroßer Stäbchen untersucht und modelliert werden.“ Bei ihren Untersuchungen klassifizierten die Forscher nicht nur die verschiedenen Topologien von smektischen Defekten, sondern entwickelten dazu auch eine mikroskopische Theorie für die extrem verspannte smektische Phase.
Die theoretischen Ergebnisse und Modellrechnungen bestätigten die Experimente. Die Forscher beobachteten per Mikroskop winzige Kolloidstäbchen, die sich auf dem Boden eines Gefäßes mit mikrometergroßen Ausstanzung befanden. Wie sich diese Stäbchen ausrichteten, wenn man sie in bestimmte geometrische Formen zwang, nahmen die Forscher auf.
„Mit unserer Dichtefunktionaltheorie konnten wir nicht nur alle experimentellen Beobachtungen reproduzieren, sondern auch bestimmen, welche dieser Strukturen den Wettbewerb um die höchste Stabilität gewinnt, also in einem Experiment am wahrscheinlichsten beobachtet wird“, so Wittmann. Diese Ergebnisse sind nicht nur grundlagenwissenschaftlich relevant, sondern haben eine konkrete Anwendungsperspektive: Mit ihnen können möglicherweise neue empfindliche Schalter gebaut werden, die durch topologische Defekte gesteuert werden. In nachfolgenden Projekten soll die Stressbelastung von solchen Stäbchenpaketen nochmals deutlich erhöht werden, um die Systemantwort auf diese extrem hohen Strapazierungen herauszufinden.
HHU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
R. Wittmann et al.: Particle-resolved topological defects of smectic colloidal liquid crystals in extreme confinement, Nat. Commun. 12, 623 (2021); DOI: 10.1038/S41467-020-20842-5 - Institut für theoretische Physik II (H. Löwen), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Physical and Theoretical Chemistry Laboratory, Dept. Chemistry, University of Oxford, Großbritannien
Weitere Beiträge
- A. Pawlak, Die Geschichte zweier Phasen (Physik Journal Nachrichten, 16. August 2013)
- I. Dierking, Phasenvielfalt und Farbenspiel, Physik Journal, April 2009, S. 27 PDF