Formbewahrende Elektronenstrahlen
Nano-Hologramme prägen Elektronen Airy-Funktionen auf, die sogar selbstheilende Kräfte besitzen.
In der Quantenmechanik ist eine Wellenform mit besonderen Eigenschaften bekannt. Teilchen, deren Wellenpaket sich gemäß der Airy-Funktion entwickelt, bewegen sich nicht nur auf einer parabelförmigen Trajektorie, auch wenn keine äußeren Kräfte anliegen. Die Airy-Wellenpakete behalten auch ihre Form, wenn Beugungs- oder Brechungeffekte ins Spiel kommen. Diese kontraintuitiven Eigenschaften widersprechen aber nicht den üblichen Erhaltungsgesetzen, da der Schwerpunkt der Wellenfunktion sich doch auf einer Linie bewegt. Dies liegt daran, dass das Gesamtwellenpaket einen entsprechend breiteren, ausgleichenden Anteil auf der anderen Seite besitzt.
Abb.: Zur Erzeugung eines Airy-Strahls wird ein Elektronenstrahl durch ein Nano-Hologramm mit kubischer Phasenmodulation geschickt und durch eine magnetische Linse fokussiert. Das Airy-Wellenpaket bildet sich an der hinteren Brennebene und behält seine Form entlang einer kurvenförmigen Trajektorie. (Bild: N. Voloch-Bloch et al.)
Es dauerte dreißig Jahre, bis ein solches theoretisch bekanntes Airy-Wellenpaket erstmals im optischen Bereich realisiert werden konnte. Nun konnten israelische Wissenschaftler dies auch an Strahlen freier Elektronen zeigen. Hierzu sendeten sie Elektronen durch ein nanostrukturiertes Hologramm, das dem Elektronenstrahl eine kubische Phasenmodulation aufprägte. Die Zonen höchster Intensität des so erzeugten Strahls folgten in der Tat einer Parabelbahn.
Den räumlichen Anteil dieses Wellenpakets kann man durch die paraxiale Helmholtzfunktion ausdrücken, die dieselbe Form wie die Schrödingergleichung besitzt. Anstelle der zeitlichen Entwicklung beschreibt sie allerdings die Ausbreitung im Raum. Ein idealtypischer Airy-Strahl, wie er durch diese Gleichung beschrieben wird, hat unendlich viel Energie. Aber auch real existierende Airy-Strahlen mit endlicher Energie besitzen die gewünschten Eigenschaften wie gekrümmte Trajektorien und die Fähigkeit der Selbstheilung. Das heißt, solche Strahlen gewinnen ihre Form nach der Beeinflussung durch ein brechendes oder beugendes Medium wieder zurück.
Die Forscher konnten den Elektronen die Airy-Funktion mit Hilfe speziell geformter Beugungsgitter aufprägen. Diese Nano-Hologramme besitzen eine kubische Phase über einer Trägerfrequenz. Zur Herstellung der Nano-Hologramme nutzten sie die Sputtertechnik. Zunächst brachten sie auf einer 50 Nanometer dicken Siliziummembran eine zehn Nanometer dicke Goldschicht auf. Das gewünschte Muster frästen sie dann mit einer Ionenstrahlmaschine heraus. Der 35-keV-Gallium-Ionenstrahl war stark genug, um nicht nur die Goldschicht, sondern auch die oberen 20 Nanometer der Silizium-Nitrid-Schicht abzutragen. Für die Experimente erwies sich dabei eine hohe Genauigkeit als nötig, so dass die Forscher mit Rastern von derißig mal dreißig Mikrometern arbeiteten.
Für das Experiment nutzten die Forscher dann den Strahl eines Feldemissionsquellen-Transmissions-Elektronenmikroskops (Field-Emission-Gun Transmission Electron Microscope – FEG-TEM), das bei einer Beschleunigungsenergie von 200 keV arbeitete. Dies entsprach, unter Berücksichtigung relativistischer Korrekturen, einer de-Broglie-Wellenlänge von ungefähr zweieinhalb Picometern. Nach dem Durchgang durch das Nano-Hologramm sorgten dann magnetische Linsen für eine Fourier-Transformation der modulierten Wellenfunktion. Der Airy-Strahl entstand schließlich in der hinteren Brennebene des Transmissions-Elektronenmikroskops. Diese Methode ist ganz analog dazu, wie optische Airy-Strahlen hergestellt werden.
In einem ersten Experiment untersuchten die Forscher dann die parabelförmigen Trajektorien der Elektronenstrahlen. Ihre Form entsprach den Vorhersagen der Helmholtzgleichung. Die Forscher konnten dies für verschiedene Ordnungen der Airy-Funktion bestätigen.
Die Forscher verglichen auch die Elektronen, die an dem Airy-Hologramm gebeugt wurden, mit einem Elektronenstrahl, der an einem periodischen Bragg-Gitter gebeugt wurde. Wie erwartet, war die Beugung am Bragg-Gitter linear und zeigte nach außen, während das Airy-Gitter anomale Effekte erzeugte und etwa für niedrige Ordnungen der Airy-Funktion eine Beugung nach innen bewirkte.
Abb.: Diese Aufnahme eines Nano-Hologramms mit dem Transmissionselektronenmikroskop zeigt die zweidimensionale Struktur der Airy-Funktion. (Bild: N. Voloch-Bloch et al.)
In einem zweiten Experiment wählten die Forscher einen räumlich sehr eng begrenzten Strahl und nahmen dann in verschiedenen Abständen die Strahlprofile auf. Bei einem effektiven Abstand von 100 Metern hinter der Brennebene wurden die Beugungsmuster des Bragg-Gitters wegen der linearen Entwicklung sehr groß und verloren an Intensität. Die Airy-Muster hingegen blieben weiterhin scharf auf eine kleine Fläche begrenzt und behielten dort ihre hohe Intensität.
Die Forscher untersuchten auch die Selbstheilungskräfte der Airy-Funktion, indem sie einen Teil des Elektronenstrahls mit einem Glasfaden versperrten. Das Wellenpaket konnte seine Form hinter diesem Stopper wiedergewinnen. Auch dieses Experiment war in guter Übereinstimmung mit theoretisch zu erwartenden Werten.
Die Forscher gehen davon aus, dass sich solche Airy-Strahlen vor allem in der Transmissions-Elektronenmikroskopie hilfreich erweisen können. Denn sie besitzen eine enorm große Schärfentiefe. Wenn man mehrere Ordnungen der Airy-Funktion kombiniert, könnten sich auch neue Arten von Interferometern konstruieren lassen. Andere denkbare Anwendungen betreffen die Spin-Bahn-Kopplung von Elektronen im relativistischen Bereich oder die Beeinflussung des Elektronenstrahls mit weiteren magnetischen und elektrischen Potenzialen.
Dirk Eidemüller
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