Formte Lava diese Schluchten?
Zu wenig Wasser: Urzeitliche Lavaströme scheinen Schluchtensysteme auf dem Mars hervorgerufen zu haben.
Schon im 19. Jahrhundert beschrieb sie ein italienischer Astronom erstmals als „Canali“: In der Äquatorregion des Mars ist ein auffälliges netzartiges System tiefer Schluchten gut zu erkennen, das als Labyrinthus Noctis bekannt ist. Dieses mündet in einen weiteren gigantischen Canyon, das Valles Marineris. Dieses misst 4000 Kilometer, ist 200 Kilometer breit und sieben tief. Beide zusammen würden die USA von der West- zur Ostküste durchziehen.
Abb.: Die gigantische Schlucht Valles Marineris entstand ausschließlich durch die erodierende Kraft von einst immensen Lavaflüssen. (Bild: NASA / JPL-Caltech / Arizona State Univ.)
Weil diese Schluchten aus dem Orbit betrachtet irdischen Canyons gleichen, die von Wasser geschaffen wurden, ging die Mehrheit der Forschenden davon aus, dass es einst auch auf dem Mars gewaltige Ströme gewesen sein mussten, welche das Labyrinthus Noctis und das Valles Marineris in Oberfläche hineinfraßen. Als weitere Möglichkeit wurden tektonische Vorgänge angenommen, welche zum größten Grabenbruch eines Planeten unseres Sonnensystems geführt haben könnte.
Weit gefehlt, sagt nun Giovanni Leone, ein Spezialist für Vulkanismus auf Planeten, der in der Arbeitsgruppe von ETH-Professor Paul Tackley am Züricher Institut für Geophysik arbeitet. Einzig Lavaflüsse hätten die Kraft und die Masse gehabt, diese gewaltigen Schluchten in die Marsoberfläche einzugraben. Leone hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit den Strukturen dieser Canyons und ihrer Ausflüsse in das Ares Valles und die Chryse planitia, eine riesige Tiefebene in der Nordhemisphäre des Mars, befasst. Er betrachtete tausende von hochauflösenden Oberflächenaufnahmen, die von mehreren Marssonden gemacht wurden und auf mehreren Bilddatenbanken des US Geological Surveys zugänglich sind, darunter die jüngsten von „Mars Reconnaissance Orbiter“.
Sein Fazit ist klar: „Alles, was ich darauf erkannte, waren Strukturen von Lava, wie wir sie von der Erde her kennen“, betont er, „die typischen Anzeichen von durch Wasser verursachten Erosion konnte ich auf keinem der Bilder sehen.“ Wasser als endgültige bildende Kraft schließt Leone zwar nicht gänzlich aus. Spuren davon – etwa Salzablagerungen an Orten, wo Wasser aus dem Boden verdunstete, oder Erosionsspuren auf den Schuttfächern der Erdrutsche – habe er allerdings nur sehr selten gefunden. „So muss man sich ernsthaft fragen, wieso Wasser das Valles Marineris hätte bilden sollen, wenn keine massiven und weit verbreiteten Spuren davon zu erkennen sind.“ Auch kann sich der Vulkanologe nicht erklären, woher die gigantischen Wassermassen hätten herkommen sollen, die diese Canyons formen konnten.
Leones Erklärungsmodell zeigt denn auch eine andere Entstehungsgeschichte von der Quelle bis zur Mündung des Schluchtensystems auf. Das Quellgebiet der Lavaströme ortete er in der Vulkanregion Tharsis. Von dort ziehen sich Lavatunnel bis zum Anfang des Labyrinthus Noctis. Ließ der Druck einer Eruption nach, stürzten die Tunneldecken teilweise ein. So bildeten sich Ketten von beinahe kreisrunden Löchern, den „pit chains“.
Floss erneut Lava durch die Tunnel, riss sie die Decken ganz ein – tiefe V-förmige Gräben entstanden. Durch das Aufschmelzen von Grund- und Randmaterial, aber auch durch rein mechanische Erosion hobelten die Lavamassen ein immer tieferes und breiteres Bett aus, es bildeten sich Canyons, deren instabil gewordenen Ränder abrutschen. Nachfolgende Lava trug den Schutt der Erdrutsche davon oder überdeckte ihn. „Je mehr Lava floss, desto breiter wurde der Canyon“, so Leone.
Sein Erklärungsmodell hat der Planetenforscher mit Höhen- und Oberflächenmessungen von verschiedenen Marssonden unterlegt. So zeigen die Täler des Labyrinthus Noctis die typische V-Form von jungen Lavatälern, deren Tunneldächer vollständig eingestürzt sind. Die Oberkanten dieser Täler liegen allerdings auf gleicher Höhe. Wären tektonische Einflüsse vorhanden, lägen die oberen Ränder nicht auf demselben Niveau, sagt er. „Auf dem Mars gibt es weder wandernde Platten noch Subduktionszonen.“ Gegen Wasser als formende Kraft spricht die Tatsache, dass es zig Millionen von Kubikkilometern davon gebraucht hätte, um solche tiefe Gräben und Canyons zu schaffen. Dazu hätte beinahe das gesamte atmosphärische Wasser der Marsgeschichte in Labyrinthus Noctis konzentriert sein müssen.
Außerdem ist die Atmosphäre auf dem Mars zu dünn, die Temperaturen sind zu kalt. Wasser, das an die Oberfläche käme, würde nicht flüssig bleiben, gibt er zu bedenken: „Wie soll sich unter solchen Bedingungen ein Fluss von genügender Größe und Stärke bilden können?“
Leones Studie könnte weitreichende Konsequenzen haben. „Nimmt man an, dass Lava das Labyrinthus Noctis und das Valles Marineris bildete, dann gab es auf dem Mars wohl immer viel weniger Wasser, als die Forschungsgemeinde angenommen hat“, sagt er. In der Vergangenheit sei auf dem Mars nur sehr wenig Regen niedergegangen. Das hätte nie ausgereicht, um solch tiefen und großen Schluchten zu graben. Der flache Ozean nördlich des Marsäquators sei wohl sehr viel kleiner gewesen als gedacht – oder gehofft. Er hätte nur um den Nordpol existiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf dem Mars Leben gegeben habe oder gibt, würde dadurch ebenfalls viel kleiner.
Leone kann sich als Aufenthaltsort für Lebewesen die noch existierenden Lavatunnels vorstellen. Diese böten Schutz vor der starken UV-Strahlung auf dem Mars. Er schlägt deshalb vor, eine Marsmission durchzuführen mit dem Ziel, Lavatunnels zu erkunden. Er hält es für machbar, einen Rover durch ein Loch im Dach eines Tunnels einzusetzen und dort nach Spuren von Leben zu suchen. „Dafür geeignete Stellen könnte man aufgrund meiner Daten ermitteln“, so Leone.
Mit seiner Studie schwimmt der Italiener gegen den Strom. Die meisten Arbeiten der letzten zwanzig Jahre beschäftigten sich mit der Frage nach Wasser auf dem Mars und wie es die Canyons ausgewaschen haben könnte. Zwar äußerte bereits 1977 ein Forscher die Idee, Valles Marineris könne durch Lava entstanden sein. Damit setzte er sich allerdings nicht durch. Leone erklärt dies mit einem Tunnelblick auf den roten Planeten und dem herrschenden Mainstream in der Marsforschung. Man habe Jahrzehnte lang immer dasselbe erzählt und gezielt danach geforscht, ohne einen Durchbruch zu erzielen. Vielleicht liege er ja auch falsch, aber die Wissenschaft könne nur vorwärts kommen, wenn auch andere Denkmodelle betrachtet werden. „Ich erwarte nun eine heftige Debatte“, sagt Leone. „Aber meine Evidenz ist stark.“
ETH Zürich / DE