Frust im Quantensystem
Im Phasenübergang gibt es keine Entscheidung zwischen flüssig und fest.
Phasenübergänge in der Physik sind aus dem Alltag bekannt, zum Beispiel das Schmelzen: Wenn ein fester Stoff erhitzt wird, bewegen sich seine Atome freier und er wird plötzlich flüssig. Phasenübergänge gibt es auch in der Quantenphysik, die allerdings der Alltagserfahrung nicht zugänglich sind und auch die Wissenschaftler noch vor viele Fragen stellen. Jetzt haben Sabine Andergassen und Dominik Maile von der Uni Tübingen gemeinsam mit Wolfgang Belzig und Gianluca Rastelli von der Uni Konstanz in theoretischen Berechnungen untersucht, welche Effekte und Mechanismen auf ein Quantensystem am Phasenübergang einwirken. Dabei sind sie auf ein merkwürdiges Verhalten gestoßen, das durch die von Heisenberg beschriebene Unschärferelation zustande kommt – und bei der Informationsverarbeitung in einem Quantencomputer zu Problemen führen könnte.
Abb.: Das Phasendiagramm stellt den Einfluss der Dissipation auf den Phasenübergang dar. Die entgegengesetzten Effekte zweier durch Heisenbergs Unschärferelation verbundener Variablen führen zu Frustration, da das System nicht beide Fluktuationen gleichzeitig unterdrücken kann. (Bild: D. Maile et al.)
Am absoluten Temperaturnullpunkt treten keine Wärmebewegungen mehr auf, nur Quantenfluktuationen. Phasenübergänge eines Quantensystems können hier zum Beispiel durch Druck- oder Magnetfeldänderungen ausgelöst werden. Sie ähneln der Wärmebewegung der Atome beim Schmelzen eines Stoffes. „Diese Dynamik wird stark durch die Wechselwirkung des Quantensystems mit der Umgebung beeinflusst. Das wird allgemein als Dissipation bezeichnet“, erklärt Andergassen. Dissipation – wörtlich Zerstreuung – bedeutet, dass sich die Möglichkeiten des Systems durch Energieverluste oder geringere Bewegungsfreiheit der Teilchen einschränken. „Die Dissipation sorgt dafür, dass einige Quantenfluktuationen unterdrückt werden und das System einen stärker geordneten Zustand anstrebt“, sagt die Forscherin – in der Entsprechung zum Schmelzen das System also den „festen“ gegenüber dem „flüssigen“ Zustand bevorzugt.
„Wie Heisenbergs Unschärferelation vorhersagt, führt das wiederum zu einer häufigeren unkontrollierten Änderung des Impulses“, sagt Belzig. Wirken nun auf die untersuchten Quantenobjekte zwei verschiedene Umgebungssysteme ein, die die Fluktuationen zweier verbundener Variablen gleichzeitig unterdrücken wollen, verbiete sich dies durch Heisenbergs Prinzip. „Das System kann nicht beide Anforderungen gleichzeitig erfüllen, es wird sozusagen frustriert“, erklärt Maile. Und Rastelli ergänzt: „Beim Phasenübergang könnte ein unerwartetes Verhalten des Quantensystems auftreten.“ In Entsprechung zum Schmelzen eines Stoffs in der klassischen Physik wäre das Quantensystem zwischen dem festen und flüssigen Zustand hin- und hergerissen.
„Diese Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen dissipativen Mechanismen führt zu einem merkwürdigen Verhalten beim Phasenübergang des Quantensystems“, fasst Rastelli die Ergebnisse zusammen. Das stelle eine grundlegende Eigenschaft des Quantensystems dar – und ebne den Weg zur Untersuchung weiterer Aspekte dieser Übergänge im Labor. Denn diese neu entdeckte Eigenschaft könne auch Einfluss im Bereich der Verarbeitung von Quanteninformation haben, wie zum Beispiel bei einem Quantencomputer.
EKU / RK