29.04.2019 • Magnetismus

Frustrierte Materialien unter Hochdruck

Magnetisches Verhalten exotischer Materialien modifiziert.

Cäsiumkupferchlorid ist ein Paradebeispiel für frustrierte Materialien. In diesem Kristall sitzen die magnetischen Kupferatome auf einem Dreiecksgitter. Eine antiparallele Ausrichtung der Magnetspins funktioniert im Dreieck aber nicht. Genau diese geometrische Frustration ist eine Herausforderung, denn sie verspricht die Entdeckung neuer magnetischer Phänomene, die sich in Zukunft vielleicht sogar für Quantencomputer nutzen lassen. Um die Grundlagen besser zu untersuchen und zu verstehen, modifizierten Forscher vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf mit internationaler Unterstützung jetzt die magnetische Kopplung mithilfe einer eleganten Messmethode.

Abb.: Frustrierter Magnetismus: Bei dem Kristall Cäsiumkupferchlorid, kurz...
Abb.: Frustrierter Magnetismus: Bei dem Kristall Cäsiumkupferchlorid, kurz CCC, sitzen die magnetischen Kupferatome auf einem Dreiecksgitter. (Bild: D. Müller, HZDR)

„Unser Ziel ist es, die komplexen Quantenprozesse in geometrisch frustrierten Kristallen genau zu erklären“, erläutert Sergei Zvyagin vom HZDR. Theorien über das magnetische Verhalten von Kristallen wie Cäsiumkupferchlorid  – kurz CCC – gibt es zwar schon reichlich. Doch mangelt es bisher an ausgeklügelten Experimenten, um diese Theorien auch am Objekt selbst zu überprüfen. Hierzu ist es hilfreich, die Stärke der Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Atomen gezielt zu verändern.

Dazu wählen Wissenschaftler in vielen Laboren oft einen mühsamen Weg: Sie stellen Kristalle mit geometrischer Frustration in einer jeweils etwas anderen chemischen Zusammensetzung her. Dadurch verändert sich die magnetische Wechselwirkung zwischen den Elementarmagneten, teilweise jedoch auch – ungewollt – die Kristallstruktur. Zvyagin verließ diesen aufwändigen, rein chemischen Pfad. Stattdessen nutzte er hohe Drücke. Unter diesen Bedingungen kann die Stärke der Kopplung der Magnetspins quasi-kontinuierlich geändert werden.

„Mit der neuen Methode können wir die Kopplungsparameter innerhalb des Kristalls kontrollieren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die magnetischen Eigenschaften messen“, sagt Zvyagin. Die CCC-Kristalle für seine Experimente erhielt er von der Gruppe um Hidekazu Tanaka vom Tokyo Institute of Technology. Mit wenigen Millimetern Kantenlänge erinnern sie mit ihrer orange schimmernden Transparenz eher an helle Granat-Edelsteine als an künstliche, im Labor gezüchtete Kristalle. Ebenfalls in Japan an der Tohoku University in Sendai setzten Zvyagin und Kollegen die Kristalle in eine Hochdruckpresse mit Stempeln aus hochfestem Zirkonoxid. Damit erhöhten die Forscher die Belastung nach und nach auf rund zwei Gigapascal.

 „Unter diesem Druck veränderten sich die Abstände zwischen den Atomen zwar nur wenig“, sagt Zvyagin. „Doch die magnetischen Eigenschaften des Kristalls zeigten dafür einen drastischen Wandel.“ Diese Änderungen konnten die Forscher mit der Elektronenspin-Resonanz direkt messen. Dabei wurde die Durchlässigkeit für Mikrowellen in einem sehr starken äußeren Magnetfeld von bis zu 25 Tesla bestimmt. Zudem musste der Kristall auf -271 Grad Celsius fast bis auf den absoluten Nullpunkt tiefgekühlt werden, um störende Effekte durch Wärme zu vermeiden.

Diese Messungen in einem starken äußeren Magnetfeld offenbarten die ungewöhnlichen magnetischen Eigenschaften des Materials. Abhängig vom Druck konnte die Stärke der Kopplung zwischen benachbarten Magnetspins variiert werden. Weitere Messungen mit einer zusätzlichen Methode der Materialforschung – der Tunneldiode-Oszillator-Technik  – ergänzten diese Resultate. Durchgeführt wurden sie – ebenfalls unter hohen Drücken und starken Magnetfeldern – an der Florida State University in den USA. Zudem fanden Zvyagin und Kollegen, dass die CCC-Kristalle unter hohem Druck eine Kaskade von Phasenübergängen mit steigendem Magnetfeld zeigen. „Dank dieser Messungen sind wir nun ein Stück weiter, um die Vielzahl dieser Phasen besser zu verstehen“, sagt Joachim Wosnitza vom HZDR.

„Die genaue Identifizierung dieser Phasen ist ein nächstes Ziel“, sagt Zvyagin. Dabei will er die exakten Strukturen seiner CCC-Kristalle in Zukunft über die Streuung von Neutronen bestimmen: „Wenn man die Quantenprozesse in diesen Kristallen mit frustrierter Geometrie versteht, könnten daraus auch Anwendungen entstehen.“ Auch Wosnitza sieht ein großes Potenzial in den exotischen, magnetischen Eigenschaften solcher Kristalle: „Denkbar sind langlebige Quantensysteme, in denen die Magnetspins kontrolliert genutzt werden könnten. Ob es dann zu einem Quantencomputer führt oder zu einem speziellen Sensor, lässt sich heute aber noch nicht absehen.“ Der Weg dahin könnte allerdings noch sehr weit sein.

HZDR / RK

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