Gebirgswinde beeinflussen Venus-Rotation
Computermodelle erklären große bogenförmige Struktur in der Atmosphäre des Planeten.
Unser innerer Nachbarplanet Venus ist in vielerlei Hinsicht rätselhaft. Einerseits ist die Venus von ihrer Größe und Masse her nahezu ein Zwilling der Erde. Andererseits besitzt sie eine erheblich dichtere Atmosphäre – der Druck auf der Oberfläche ist fast hundert Mal höher als auf der Erde – und der Treibhauseffekt dieser Atmosphäre führt zu einer Oberflächentemperatur von bis zu 500 Grad Celsius. Und während sich fast alle Objekte im Sonnensystem in dieselbe Richtung drehen, rotiert die Venus retrograd, also gegen ihre Umlaufbewegung. Ein siderischer Tag auf der Venus dauert 234, ein Sonnentag 117 Erdtage. Die dichte Atmosphäre dagegen zeigt eine „Hyperrotation“, eine starke kollektive Strömung in Rotationsrichtung mit einer Geschwindigkeit von bis 400 Kilometern pro Stunde – was einem kompletten Umlauf um den Planeten in etwa vier Erdtagen entspricht.
Abb.: Die Infrarot-Aufnahme der japanischen Raumsonde Akatsuki zeigt die gigantische bogenförmige Struktur in der Venus-Atmosphäre. (Bild: JAXA)
Am 6. Dezember 2015 schwenkte der im Mai 2010 gestartete japanische Venus Klima-Orbiter Akatsuki („Morgendämmerung“) in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. Seine Beobachtungen der Atmosphäre sorgten für eine weitere Überraschung: Auf den Temperaturkarten der Venus-Atmosphäre zeigte sich eine 10.000 Kilometer lange, bogenförmige Störung, die offenbar stationär an der Gebirgsregion Aphrodite Terra verankert ist. Aufgrund ihrer Lage vermuteten die Planetenforscher sogleich, es könne sich um eine atmosphärische Schwerewelle handeln, die sich durch Aufwinde an dem Gebirge bildet. Ähnliche Wellen lassen sich auch an Gebirgen in der irdischen Atmosphäre beobachten – allerdings in erheblich kleinerem Maßstab.
Die enorme Ausdehnung – im ganzen Sonnensystem gibt es nichts Vergleichbares – war für die Forscher ein Rätsel. Und erste Versuche, die Entstehung einer derart großen Schwerewelle zu modellieren, schlugen fehl. Mit einem neuen adaptiven Computermodell ist es Thomas Navarro und Gerald Schubert von der University of California in Los Angeles, sowie Sébastien Lebonnois von der Universität Sorbonne in Paris jetzt erstmals gelungen, die bogenförmige Struktur zu reproduzieren. Die Schwierigkeit dabei war, so erläutert das Team, eine geeignete Anpassung der Auflösung des numerischen Verfahrens zu finden: „Wir simulieren eine Welle, die viel größer, deren Ursachen aber kleiner als das normale Auflösungsvermögen des Modells sind.“ Die Simulationen zeigen, dass die Welle sich am Nachmittag eines Venus-Tags heraus bildet, ausgelöst durch tageszeitlich bedingte Schwankungen des Atmosphärendrucks.
Wie die Simulationen des Forscher-Trios zeigen, verändern die mit der Bildung der atmosphärischen Schwerewelle einhergehenden Dichteschwankungen zugleich das Trägheitsmoment der Venus und damit ihre Rotationsgeschwindigkeit. Die Variation entspricht einer Änderung der Tageslänge um etwa zwei Minuten. „Die Wechselwirkung zwischen Planetenkörper und Atmosphäre könnte damit einen Teil der Differenzen erklären, die zwischen den Messungen verschiedener Raumsonden in den vergangenen vierzig Jahren bestehen“, so die Wissenschaftler. Diese Unterschiede betragen zwar bis zu sieben Minuten. Aber das Computermodell berücksichtige noch nicht alle Effekte, die zu einer Variation der Rotationsgeschwindigkeit führen könnten, wie etwa die Gezeitenwirkung der Sonne und die thermischen Gezeiten. Wünschenswert seien auch weitere, höher aufgelöste Beobachtungen des Phänomens: Ein gutes Verständnis des zugrundeliegenden Mechanismus könnte eine genauere Bestimmung des Trägheitsmoments der Venus möglich machen – und damit Informationen über den inneren Aufbau des Planeten liefern.
Rainer Kayser
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