18.06.2018

Gebirgswinde beeinflussen Venus-Rotation

Computermodelle erklären große bogenförmige Struktur in der Atmosphäre des Planeten.

Unser innerer Nachbar­planet Venus ist in vielerlei Hinsicht rätselhaft. Einerseits ist die Venus von ihrer Größe und Masse her nahezu ein Zwilling der Erde. Anderer­seits besitzt sie eine erheblich dichtere Atmo­sphäre – der Druck auf der Oberfläche ist fast hundert Mal höher als auf der Erde – und der Treibhaus­effekt dieser Atmo­sphäre führt zu einer Oberflächen­temperatur von bis zu 500 Grad Celsius. Und während sich fast alle Objekte im Sonnen­system in dieselbe Richtung drehen, rotiert die Venus retro­grad, also gegen ihre Umlauf­bewegung. Ein siderischer Tag auf der Venus dauert 234, ein Sonnentag 117 Erdtage. Die dichte Atmosphäre dagegen zeigt eine „Hyper­rotation“, eine starke kollektive Strömung in Rotations­richtung mit einer Geschwin­digkeit von bis 400 Kilo­metern pro Stunde – was einem kompletten Umlauf um den Planeten in etwa vier Erdtagen entspricht.

Abb.: Die Infrarot-Aufnahme der japanischen Raumsonde Akatsuki zeigt die gigantische bogenförmige Struktur in der Venus-Atmosphäre. (Bild: JAXA)

Am 6. Dezember 2015 schwenkte der im Mai 2010 gestartete japa­nische Venus Klima-Orbiter Akatsuki („Morgen­dämmerung“) in eine Umlauf­bahn um den Planeten ein. Seine Beobach­tungen der Atmo­sphäre sorgten für eine weitere Über­raschung: Auf den Temperatur­karten der Venus-Atmo­sphäre zeigte sich eine 10.000 Kilometer lange, bogen­förmige Störung, die offenbar stationär an der Gebirgs­region Aphrodite Terra verankert ist. Aufgrund ihrer Lage vermuteten die Planeten­forscher sogleich, es könne sich um eine atmo­sphärische Schwere­welle handeln, die sich durch Aufwinde an dem Gebirge bildet. Ähnliche Wellen lassen sich auch an Gebirgen in der irdischen Atmo­sphäre beobachten – allerdings in erheblich kleinerem Maßstab.

Die enorme Ausdehnung – im ganzen Sonnensystem gibt es nichts Vergleichbares – war für die Forscher ein Rätsel. Und erste Versuche, die Entstehung einer derart großen Schwere­welle zu modellieren, schlugen fehl. Mit einem neuen adaptiven Computer­modell ist es Thomas Navarro und Gerald Schubert von der Univer­sity of Cali­fornia in Los Angeles, sowie Sébas­tien Lebonnois von der Univer­sität Sorbonne in Paris jetzt erstmals gelungen, die bogen­förmige Struktur zu repro­duzieren. Die Schwierig­keit dabei war, so erläutert das Team, eine geeignete Anpassung der Auflösung des nume­rischen Verfahrens zu finden: „Wir simulieren eine Welle, die viel größer, deren Ursachen aber kleiner als das normale Auflösungs­vermögen des Modells sind.“ Die Simula­tionen zeigen, dass die Welle sich am Nachmittag eines Venus-Tags heraus bildet, ausgelöst durch tages­zeitlich bedingte Schwankungen des Atmosphären­drucks.

Wie die Simu­lationen des Forscher-Trios zeigen, verändern die mit der Bildung der atmo­sphärischen Schwerewelle einher­gehenden Dichte­schwankungen zugleich das Trägheits­moment der Venus und damit ihre Rotations­geschwindigkeit. Die Variation entspricht einer Änderung der Tages­länge um etwa zwei Minuten. „Die Wechsel­wirkung zwischen Planeten­körper und Atmosphäre könnte damit einen Teil der Dif­ferenzen erklären, die zwischen den Messungen ver­schiedener Raum­sonden in den vergan­genen vierzig Jahren bestehen“, so die Wissen­schaftler. Diese Unterschiede betragen zwar bis zu sieben Minuten. Aber das Computer­modell berücksichtige noch nicht alle Effekte, die zu einer Variation der Rotations­geschwindigkeit führen könnten, wie etwa die Gezeiten­wirkung der Sonne und die ther­mischen Gezeiten. Wünschenswert seien auch weitere, höher aufgelöste Beobach­tungen des Phänomens: Ein gutes Verständnis des zugrunde­liegenden Mechanismus könnte eine genauere Bestimmung des Trägheits­moments der Venus möglich machen – und damit Infor­mationen über den inneren Aufbau des Planeten liefern.

Rainer Kayser

JOL

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