07.10.2016

Geburt von Quasiteilchen

Neue Simulation zeigt Details zur Entstehung von Polaronen.

Die Bildung von Quasi­teilchen in einem Festkörper dauert nur Atto­sekunden und kann im Labor kaum beobachtet werden. Nun haben Innsbrucker Physiker um Rudolf Grimm gemeinsam mit einem inter­nationalen Team von Theore­tikern die Entstehung von Polaronen durch Experimente an einem ultrakalten Quantengas in Echtzeit simuliert.

Abb.: Illustration der Dynamik von Quasiteilchen, die nun in Echtzeit untersucht werden kann. (Bild: IQOQI)

Die Quanten­physik beschreibt physi­kalische Vorgänge in Festkörpern und anderen Vielteilchensystemen auch mit Hilfe von Quasi­teilchen. Wenn sich zum Beispiel ein Elektron durch einen Festkörper bewegt, erzeugt es auf Grund seiner elektrischen Ladung in der Umgebung eine Pola­risation. Diese Polarisations­wolke bewegt sich zusammen mit dem Elektron und beide gemeinsam können theoretisch als selbst­ständiges Quasi­teilchen, als Polaron, beschrieben werden. „Man kann das mit einem Skifahrer im Pulver­schnee vergleichen“, sagt Rudolf Grimm. „Der Skifahrer ist umhüllt von einer Wolke aus Schnee­kristallen. Gemeinsam bilden sie ein System, das andere Eigen­schaften hat als der Skifahrer ohne Schneewolke.“

Die experi­mentelle Messung von Quasi­teilchen stellt eine große Heraus­forderung dar. „Diese Prozesse spielen sich im Atto­sekunden-Bereich ab und ihre zeit­aufgelöste Beobachtung ist äußerst schwierig“, erläutert Grimm, der mit seinem Team ultra­kalte Quanten­gase nutzt, um ungelöste Rätsel der Vielteilchen­physik komplexer Quanten­systeme mittels Simulation zu ergründen. Ultra­kalte Quanten­gase sind ein ideales Expe­rimentier­feld, um physi­kalische Phänomene zu erforschen, wie sie in Festkörper­materialien und auch in exotischen Materie­zuständen wie Neutronen­sternen auftreten. Unter streng kontrol­lierten Bedingungen können in solchen Gasen Viel­teilchen­zustände erzeugt und die Wechsel­wirkung zwischen den Teilchen gezielt manipuliert werden. Die Gruppe um Rudolf Grimm am Institut für Quanten­optik und Quanten­information der Öster­reichischen Akademie der Wissen­schaften und dem Institut für Experimental­physik der Universität Innsbruck ist inter­national führend auf diesem Forschungs­gebiet und konnte nun gemeinsam mit Theore­tikern der Harvard University, der TU München und der Monash University in Australien erstmals die Quasi­teilchen­dynamik in Echtzeit studieren.

Die Forscher erzeugen in einer Vakuum­kammer ein ultra­kaltes Quantengas aus vielen Lithium­atomen und wenigen Kalium­atomen in deren Mitte. Für beide Atomsorten werden Isotope verwendet, die als Fermionen den gleichen funda­mentalen Charakter wie Elektronen haben. Über Magnet­felder lassen sich deren Wechsel­wirkung einstellen und auf diese Weise Fermi-Polaronen erzeugen, d.h. Kalium­atome, die von einer Wolke aus Litihum umhüllt werden. „Die natür­liche Zeit­skala bei solchen Quasiteilchen liegt im Festkörper bei 100 Atto­sekunden“, erklärt Rudolf Grimm. „Wir simulieren die gleichen physi­kalischen Prozesse mit vielen Teilchen und bei sehr viel geringerer Dichte. Die Entstehung der Polaronen dauert hier einige Mikro­sekunden.“ Auch dies stellt für die Messung noch eine große Heraus­forderung dar. „Wir haben aber eine neue Methode gefunden, wie man die Geburt eines Polarons quasi in Echtzeit beobachten kann“, freut sich Quanten­physiker Grimm und blickt bereits in die Zukunft: „Das könnte interes­sant sein, um die Quanten­physik super­schneller elektro­nischer Bauelemente besser zu verstehen.“

IQOQI / JOL

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