24.05.2016

Gegensätze in einem Stahl vereint

Neue Legierung weist dank doppelter Kristallstruktur sowohl gute Duktilität als auch hohe Festigkeit auf.

Für die Stahlindustrie zeichnet sich womöglich ein Ausweg aus einem Dilemma ab, das schon solange besteht, wie Menschen Metall verarbeiten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisen­forschung in Düsseldorf präsentieren einen neuartigen metallischen Werkstoff, der gleichzeitig sehr fest und trotzdem gut formbar ist. Bislang ließ sich die eine Material­eigenschaft nur auf Kosten der anderen verbessern. Das ändern die Düsseldorfer Forscher, indem sie einen neuen Weg bei der Entwicklung von metallischen Werkstoffen gehen. So tragen sie dazu bei, dass sich Bauteile aus Metall künftig dünn­wandiger konstruieren und dadurch Ressourcen schonen lassen.

Abb.: Eine Legierung aus Eisen, Mangan, Cobalt und Chrom wird gut formbar, weil in ihr zwei Kristallstrukturen nebeneinander vorliegen können und die eine Struktur sich in die andere umwandeln kann. (Bild: MPIE)

Idealerweise sollten Stähle und mit ihnen verwandte metallische Legierungen beides können: Sie dürfen nicht zersplittern, wenn sie etwa im Walzwerk verarbeitet werden oder als Auto­karosserie in einen Unfall geraten – sie müssen also duktil sein. Sie sollten aber auch fest sein, damit sie sich nicht schon verformen oder gar brechen, wenn geringe Kräfte auf sie einwirken. Einem Team um Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisen­forschung, und Cemal Cem Tasan, der an diesem Institut eine Forschungs­gruppe leitete und mittler­weile Professor am Massachusetts Institute of Technology in den USA ist, ist es jetzt gelungen, beide Eigenschaften in einem Material zu kombinieren. Bislang waren sehr duktile metallische Werk­stoffe nicht besonders fest und umgekehrt.

„Wir haben bei der Entwicklung dieses Materials eine neue Strategie verfolgt, die generell neue Möglich­keiten für das Design metallischer Werk­stoffe schafft“, sagt Dierk Raabe. Das Team setzte bei einem Typ von Materialien an, der in der Werkstoff­wissenschaft seit ein paar Jahren untersucht wird, aber für viele Anwendungen bisher zu spröde ist: Legierungen, in die Metallurgen ähnliche Mengen von typischer­weise fünf oder mehr verschiedenen Metallen mischen.

Da sich die Atome der verschiedenen Elemente ohne erkennbare Ordnung auf die Positionen in den Kristall­gittern dieser Stoffe verteilen und die Entropie ein Maß für die Unordnung ist, heißen die Materialien Hoch­entropie-Legierungen. Solche Materialien können besonders fest sein, weil das Durch­einander der vielen verschiedenen Atome in einer Struktur die Bewegung von Versetzungen erschwert. Versetzungen sind Fehler im Kristall­gitter, die durch einen Kristall wandern, wenn ein Material verformt wird. Die hohe Festig­keit der Legierungen mit der atomaren Unordnung bringt jedoch bislang auch einen Nachteil mit sich: Wenn ein solches Material unter einer Last nachgibt, verformt es sich üblicherweise sehr abrupt und bricht rasch: Es verhält sich spröde.

Stähle, die hauptsächlich Eisen, in der Regel eine weitere Haupt­komponente und geringe Mengen anderer Bestand­teile wie etwa Kohlenstoff, Vanadium oder Chrom enthalten, sind dagegen oft duktil. Sie sind also gerade nicht spröde, dagegen bislang oft noch nicht fest genug, um beispielweise den Bau von dünn­wandigeren Auto­karosserien zu ermöglichen. In den Kristallen von Stählen sind die Atome mehr oder weniger regel­mäßig angeordnet. Besonders duktil werden Stähle allerdings, wenn sie dabei von einer in eine andere Struktur wechseln können. Denn dieser Prozess schluckt Energie, die in dem Material dann keinen Schaden mehr anrichten kann. In einer Karosserie oder anderen stählernen Bauteilen wechseln sich dann winzige Bereiche mit den beiden verschiedenen Atomordnungen ab.

Genau das Nebeneinander unterschiedlicher Kristall­strukturen galt in Hoch­entropie-Legierungen als schädlich – bislang. „Diese Auffassung haben wir jetzt gekippt, auch weil einige Unter­suchungen aus jüngster Zeit gezeigt haben, dass es darauf nicht ankommt“, sagt Zhiming Li, der die material­wissenschaftliche Strategie­wende zum Gegenstand seines Projektes gemacht hat. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Zhiming Li nach einem Material geforscht, das einerseits fest ist wie eine Hochentropie-Legierung und andererseits wie besonders duktile Stähle zwei Kristall­strukturen nebeneinander aufweist. Bei der Suche herausgekommen ist eine Legierung aus 50 Prozent Eisen, 30 Prozent Mangan und jeweils 10 Prozent Cobalt sowie Chrom.

„Mit dieser Legierung haben wir bewiesen, dass unser Konzept funktioniert“, sagt Dierk Raabe. „Wenn wir die Mikro­struktur und die Zusammensetzung weiter verbessern, können wir die Festig­keit und Duktilität aber sicher noch stärker erhöhen.“ Genau daran werden die Forscher nun arbeiten. So könnten sie der metall­verarbeitenden Industrie die Entscheidung zwischen festen und duktilen Werkstoffen endgültig abnehmen. Die metallischen Werkstoffe aus der Düsseldorfer Material­schmiede dürften sich dann so leicht und kosten­günstig verarbeiten lassen wie ein besonders duktiler Stahl und als Karosserie in einem Unfall auch genauso viel Energie des Aufpralls aufnehmen. Gleichzeitig dürfte der Werkstoff so fest sein, dass auch dünne und somit preiswerte sowie ressourcen­schonende Bleche nicht schon bei einem schwachen Stoß nachgeben.

MPIE / DE

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