12.12.2022

Gekrümmte Raumzeit im Labor

Simulation von Universen mit Krümmung in ultrakalten Quantengasen.

Die Entstehung von Raum und Zeit auf kosmischen Zeitskalen vom Urknall bis in die Gegenwart ist Gegen­stand aktueller Forschung, die sich jedoch nur auf die Beobachtung unseres einen Universums berufen kann. Wesent­licher Bestandteil kosmo­logischer Modelle sind die Expansion und Krümmung des Raumes. In einem flachen Raum wie unserem heutigen Universum ist die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten immer eine Gerade. „Es ist aller­dings denkbar, dass unser Universum in seiner Anfangsphase gekrümmt war. Die Folgen einer gekrümmten Raumzeit zu untersuchen ist daher eine drängende Forschungs­frage“, sagt Markus Oberthaler vom Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. Mit seiner Forschungs­gruppe „Synthetische Quanten­systeme“ hat er dafür einen Quanten­feldsimulator entwickelt.

Abb.: Illustration eines gekrümmten Raums am Beispiel des Heidelberger...
Abb.: Illustration eines gekrümmten Raums am Beispiel des Heidelberger Experiments. (Bild: C. Viermann)

Der im Labor realisierte Quantenfeld­simulator besteht aus einer Wolke von Kalium-Atomen, die bis auf einige Nanokelvin über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurde. Dabei entsteht ein Bose-Einstein-Kondensat. Wie Oberthaler erläutert, wirkt das Bose-Einstein-Kondensat als idealer Hintergrund, auf dem kleinste Anregungen, das heißt Änderungen des Energie­zustandes der Atome, sichtbar werden. Die Form der Atomwolke bestimmt dabei die Dimen­sionalität und die Eigen­schaften der Raumzeit, auf der sich diese Anregungen wellenartig bewegen. Im Universum sind es drei Dimensionen des Raumes und eine vierte – die der Zeit.

In dem Experiment der Heidel­berger Physikerinnen und Physiker sind die Atome in einer dünnen Schicht gefangen. So können sich Anregungen nur in zwei Raum­richtungen ausbreiten – der Raum ist zwei­dimensional. Gleichzeitig lässt sich die Atomwolke in den verbleibenden zwei Dimensionen fast beliebig formen, womit es möglich ist, auch gekrümmte Raumzeiten zu realisieren. Die Wechselwirkung zwischen den Atomen kann durch ein Magnetfeld präzise eingestellt werden, wodurch sich die Ausbreitungs­geschwindigkeit der wellenartigen Anregungen auf dem Bose-Einstein-Kondensat ändert.

„Für die Wellen auf dem Kondensat ist die Ausbreitungs­geschwindigkeit abhängig von der Dichte und der Wechsel­wirkung der Atome. Das gibt uns die Möglichkeit, Bedingungen wie in einem expandierenden Universum zu schaffen“, erklärt Stefan Flörchinger, zuvor Wissen­schaftler an der Universität Heidelberg und seit Anfang dieses Jahres an der Universität Jena. Er hat das quantenfeld­theoretische Modell ausge­arbeitet, mit dem die experi­mentellen Ergebnisse quantitativ abgeglichen wurden. Mit dem Quantenfeld­simulator können kosmische Phänomene, beispiels­weise die Produktion von Teilchen aufgrund der Expansion des Raumes, und die Raumzeit­krümmung selbst messbar gemacht werden.

„Kosmologische Fragestellungen laufen normalerweise auf unvorstellbar großen Skalen ab. Diese ganz konkret im Labor untersuchen zu können, eröffnet ganz neue Möglich­keiten der Forschung, indem wir neue theo­retische Modelle experimentell testen können“, sagt Physikerin Celia Viermann. „Das Wechselspiel von gekrümmter Raumzeit und quanten­mechanischen Zuständen im Labor zu erforschen, wird uns noch einige Zeit beschäftigen“, so Markus Oberthaler, der mit seiner Forschungs­gruppe Mitglied im Exzellenz­cluster „Structures“ ist.

U. Heidelberg / JOL

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