Gekrümmte Raumzeit im Labor
Simulation von Universen mit Krümmung in ultrakalten Quantengasen.
Die Entstehung von Raum und Zeit auf kosmischen Zeitskalen vom Urknall bis in die Gegenwart ist Gegenstand aktueller Forschung, die sich jedoch nur auf die Beobachtung unseres einen Universums berufen kann. Wesentlicher Bestandteil kosmologischer Modelle sind die Expansion und Krümmung des Raumes. In einem flachen Raum wie unserem heutigen Universum ist die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten immer eine Gerade. „Es ist allerdings denkbar, dass unser Universum in seiner Anfangsphase gekrümmt war. Die Folgen einer gekrümmten Raumzeit zu untersuchen ist daher eine drängende Forschungsfrage“, sagt Markus Oberthaler vom Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. Mit seiner Forschungsgruppe „Synthetische Quantensysteme“ hat er dafür einen Quantenfeldsimulator entwickelt.
Der im Labor realisierte Quantenfeldsimulator besteht aus einer Wolke von Kalium-Atomen, die bis auf einige Nanokelvin über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurde. Dabei entsteht ein Bose-Einstein-Kondensat. Wie Oberthaler erläutert, wirkt das Bose-Einstein-Kondensat als idealer Hintergrund, auf dem kleinste Anregungen, das heißt Änderungen des Energiezustandes der Atome, sichtbar werden. Die Form der Atomwolke bestimmt dabei die Dimensionalität und die Eigenschaften der Raumzeit, auf der sich diese Anregungen wellenartig bewegen. Im Universum sind es drei Dimensionen des Raumes und eine vierte – die der Zeit.
In dem Experiment der Heidelberger Physikerinnen und Physiker sind die Atome in einer dünnen Schicht gefangen. So können sich Anregungen nur in zwei Raumrichtungen ausbreiten – der Raum ist zweidimensional. Gleichzeitig lässt sich die Atomwolke in den verbleibenden zwei Dimensionen fast beliebig formen, womit es möglich ist, auch gekrümmte Raumzeiten zu realisieren. Die Wechselwirkung zwischen den Atomen kann durch ein Magnetfeld präzise eingestellt werden, wodurch sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der wellenartigen Anregungen auf dem Bose-Einstein-Kondensat ändert.
„Für die Wellen auf dem Kondensat ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit abhängig von der Dichte und der Wechselwirkung der Atome. Das gibt uns die Möglichkeit, Bedingungen wie in einem expandierenden Universum zu schaffen“, erklärt Stefan Flörchinger, zuvor Wissenschaftler an der Universität Heidelberg und seit Anfang dieses Jahres an der Universität Jena. Er hat das quantenfeldtheoretische Modell ausgearbeitet, mit dem die experimentellen Ergebnisse quantitativ abgeglichen wurden. Mit dem Quantenfeldsimulator können kosmische Phänomene, beispielsweise die Produktion von Teilchen aufgrund der Expansion des Raumes, und die Raumzeitkrümmung selbst messbar gemacht werden.
„Kosmologische Fragestellungen laufen normalerweise auf unvorstellbar großen Skalen ab. Diese ganz konkret im Labor untersuchen zu können, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Forschung, indem wir neue theoretische Modelle experimentell testen können“, sagt Physikerin Celia Viermann. „Das Wechselspiel von gekrümmter Raumzeit und quantenmechanischen Zuständen im Labor zu erforschen, wird uns noch einige Zeit beschäftigen“, so Markus Oberthaler, der mit seiner Forschungsgruppe Mitglied im Exzellenzcluster „Structures“ ist.
U. Heidelberg / JOL